Kirche & Politik: Religionsfreiheit, Islam, Mission und interreligiöse Begegnung
Wie steht die evangelische Kirche zum Islam?
Der Islam ist eine große Weltreligion mit rund 1,8 Milliarden Angehörigen, einer langen Geschichte und verschiedenen Richtungen. In seinen Lehren gibt es gewichtige Unterschiede zum Christentum, aber auch etliche Gemeinsamkeiten, die aus gemeinsamen Wurzeln herrühren.
Grundsätzlich sind alle Christen aufgerufen, die Nähe und Liebe Gottes, wie sie sich in Jesus Christus gezeigt hat, allen Menschen in Wort und Tat zu bezeugen. Das gilt auch gegenüber Muslimen. Möglich ist das nur, wenn Menschen mit anderen Überzeugungen mit Respekt, Wahrhaftigkeit und Freundlichkeit begegnet wird. Diese Prinzipien sollten daher auch die Begegnungen mit Muslimen prägen.
Welche Richtungen gibt es im Islam?
Wie andere große Religionen hat der Islam viele verschiedene Gesichter. Zunächst kann man die jeweiligen theologischen Hauptrichtungen unterscheiden: Sunniten und Schiiten.
Bei den Sunniten gibt es 4 anerkannte Rechtsschulen, die verschiedene Auslegungstraditionen widerspiegeln. Die Schiiten teilen sich in mehrere Zweige mit jeweils eigenen religiösen Autoritäten und Lehrmeinungen.
Für den Alltag wichtiger als diese konfessionelle Zuordnung ist die Frage, wie der Islam verstanden und gelebt wird. Da bestehen erhebliche Unterschiede zwischen einem traditionsorientierten Familienislam, salafistischem Fundamentalismus, mystischen Sufis, säkularisierten Kulturmuslimen oder liberal geprägten engagierten Gläubigen.
Warum ist das wichtig?
Gegenwärtige Debatten in Deutschland kranken oft daran, dass eine Teilgruppe des Islam herausgepickt und für das Ganze genommen wird. Das betrifft die Verallgemeinerung von Positionen dschihadistischer Salafisten für den Gesamtislam. Ebenfalls problematisch ist die Ausblendung dieser Positionen in anderen Diskursen, die nur die friedliche Seite des Islam in den Blick nehmen wollen.
Wie sollte auf die Gefahr des islamistischen Terrors reagiert werden?
Die mörderischen Taten dschihadistischer Gruppen richten sich zuerst gegen andere, weniger radikale Muslime, dann auch gegen den als Feind klassifizierten „Westen“. Unsere natürlichen Verbündeten und ersten Ansprechpartner sind darum all die friedliebenden Muslime, die diese Gewalt ablehnen und ebenfalls von ihr betroffen sind.
Eine kollektive Ausgrenzung aller Muslime hilft dagegen den Terroristen, weil sie deren Erzählung vom bösen „Westen“ als „Feind aller Muslime“ Nahrung und Plausibilität verschafft.
Gehören bestimmte Länder zu bestimmten Religionen?
Das Christentum ist eine missionarische Religion, die allen Menschen dieser Welt von der Liebe Gottes berichten will – egal wo diese leben. Die Aufteilung der Welt in Gebiete, wo bestimmte Religionen ein Vorrecht hätten und andere nicht, passt nicht zu dem Gedanken der Religionsfreiheit. Christen haben eine solche Eingrenzung darum auch nie akzeptiert. Solche Ideen können Ausdruck von archaischem Stammesdenken sein, das gegenwärtig im Gewand des „Ethnopluralismus“ neue Popularität erfährt und bestimmte „Völker“ mit angeblich dazu gehörenden Religionen und geografischen Räumen verbinden will. Dem christlichen Geist widersprechen solche Festlegungen grundlegend.
Gehört der Islam zu Deutschland?
Nein, genauso wenig wie das Christentum oder der Buddhismus. Keine Religion „gehört“ zu einem Land (s.o.). Auch das Christentum ist in Mitteleuropa nicht ursprünglich. Es wurde durch Missionare hierher gebracht. Aus historischen Entwicklungen und momentanen Gegebenheiten lässt sich keine normative Vorgabe ableiten.
Deutschlands Kultur ist stark vom Christentum geprägt. Das ist unsere Tradition. Diese lässt sich pflegen und bewahren, indem christlich gedacht, gelebt, geglaubt und gehandelt wird. Die Ausgrenzung anderer Menschen und deren Religion rettet nicht das Christentum.
Dürfen Muslime in Deutschland ihre Religion leben?
Ja, selbstverständlich – genauso wie alle anderen, denn in Deutschland ist die Religionsfreiheit vom Grundgesetz garantiert. Wie alle anderen können daher auch Muslime ihre Religion sichtbar und öffentlich leben – mit Kopftuch oder ohne. Wie alle anderen müssen sie sich dabei an die für alle geltenden Gesetze halten.
Wie ist das mit dem Schächten?
In der Tat bestehen hier für Juden und Muslime Ausnahmen vom Tierschutzgesetz mit der Erlaubnis zum Schächten, damit diese ihren religiösen Vorstellungen gemäß in Deutschland leben können. Dafür gelten streng überwachte Bestimmungen. Über den Tierschutz-Aspekt kann man diskutieren. Der ist aber nicht auf das Schächten zu beschränken. Angesichts industrieller Massentierhaltung scheint es wichtig, dabei nicht mit zweierlei Maß zu messen.
Was meint der Begriff „Islamisierung“?
Damit soll vor einem Vordringen islamischer Lebensregeln in Europa gewarnt werden. Das Problem dabei ist, dass dies 1. tatsächlich nur in sehr geringem Umfang der Fall ist, aber 2. der Begriff benutzt wird, jegliche öffentliche Sichtbarkeit von Muslimen als potenzielle Gefährdung „westlicher“ Lebensart zu diskreditieren. Faktisch geschieht eine andere Form der „Islamisierung“ dadurch, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund auf diese Religion festgelegt werden – egal wie religiös (oder nicht religiös) sie sich selbst sehen. Deren Probleme gelten folglich als Probleme der Religion, auch wenn es tatsächlich vielleicht Probleme von finanziellen Möglichkeiten, sozialem Status, Bildungsniveau, Wohngebiet, Erziehung, Persönlichkeitsstruktur etc. sein können. Sie zum Thema der Religion zu machen geht mit einer Verallgemeinerung einher: So sei eben „der Islam“ und folglich alle Muslime. Das ist aber falsch.
Sollen Muslime Moscheen bauen dürfen? Mit Minarett?
Es ist unsere Überzeugung, dass es Christen erlaubt sein sollte, in allen Ländern, wo sie leben, Kirchen bauen zu dürfen – auch erkennbar mit Kreuz auf dem Turm. Solches ist Ausdruck des Grundrechtes der Religionsfreiheit, dass Menschen ihren Glauben aktiv leben und sich öffentlich dazu bekennen dürfen. Dazu gehört das Recht, sich den eigenen Vorstellungen entsprechende Gebetsräume zu errichten, die auch äußerlich als solche erkennbar sind und entsprechende Symbole in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wer dieses Recht für die eigene Religion einfordert, sollte es auch anderen in gleicher Weise gewähren. Die in Deutschland grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit schließt auch das Recht zu erkennbaren Bauten ein. Das gilt genauso für Muslime und Moscheebauten. Die örtlichen Bauvorschriften (z.B. zur Höhe) müssen selbstverständlich eingehalten werden.
Aber Christen in vielen islamisch geprägten Ländern dürfen doch keine Kirchen bauen…
Leider ist das mitunter so. Aber verleiht ein Unrecht, das anderswo geschieht, das Recht, im eigenen Einflussbereich dasselbe Unrecht auch zu begehen? Darf ich im Supermarkt stehlen, nur weil es andere auch machen? Nein. In Deutschland gilt Religionsfreiheit. Sie gilt für alle oder sie gilt nicht.
Sollte der Staat Religionsfreiheit einer Religion zugestehen, die diese selbst ablehnt?
In jedem Fall. Die Religionsfreiheit ist kein Recht der Religionen, sondern ein Freiheitsrecht, das der Staat seinen Bürgern gewährt. Es ist grundsätzlich unabhängig von den Glaubenslehren der jeweiligen Religion. Der freiheitliche Staat setzt dieses Recht nötigenfalls gegen die Religionen durch. So ist die Religionsfreiheit zu einem Zeitpunkt in das deutsche Grundgesetz geschrieben worden, als z.B. die römisch-katholische Kirche offiziell noch dagegen war. Dennoch galt die Religionsfreiheit bereits vor dem 2. Vatikanischen Konzil natürlich auch für Katholiken.
Es bleibt natürlich der Wunsch und das Bemühen, dass die Religionsgemeinschaften von ihren Bekenntnissen her die Religionsfreiheit bejahen. Evangelische und katholische Kirche haben das inzwischen offiziell getan.
Viele Muslime sind bereits jetzt der Überzeugung, dass Religionsfreiheit richtig und wichtig ist. Es ist weiter mit guten Argumenten dafür zu werben, dass zunehmend islamische Gelehrte mit Begründungen aus ihrer Tradition sich dieser Position anschließen.1 Davon abhängig ist das Grundrecht der Religionsfreiheit aber nicht.
Glauben Christen und Muslime an denselben Gott?
Christen und Muslime glauben nicht dasselbe von dem einen Gott. Juden, Christen und Muslime sind davon überzeugt, dass es nur einen wahren Gott gibt. Dieser Gott hat die Welt geschaffen und alles, was darin ist, so dass wir ihn Schöpfer nennen können. Und dieser Gott hat Abraham seine Verheißung gegeben. Alle drei Religionen wollen keinen anderen Gott verehren, als den Gott Abrahams. Aber sie haben verschiedene Vorstellungen, wie dieser Gott ist und sie folgen verschiedenen Schriften, die für sie Offenbarungscharakter haben.
Für Christen ist entscheidend, dass dieser Gott den Menschen seine Liebe darin gezeigt hat, dass er in Jesus Christus selbst Mensch geworden und das Leid der Welt auf sich genommen hat. Juden und Muslime glauben das nicht. Juden warten auf einen anderen Messias, Muslime akzeptieren Jesus als Propheten Gottes und als Messias, aber nicht als Sohn Gottes.
Weil es für Christen wichtig ist, dass Gott als der Dreieinige in Vater, Sohn und Heiligem Geist jeweils derselbe ist, Juden und Muslime aber nicht in dieser Weise an den dreieinen Gott glauben, glauben sie nicht dasselbe von Gott. Aber der Glaube aller drei dieser Religionen richtet sich auf den einen (und einzigen) wahren Gott, der der Schöpfer der Welt ist.
Was bringt die Begegnung mit Muslimen für den christlichen Glauben?
Die Begegnung und das Gespräch mit Muslimen kann dazu führen, über den eigenen christlichen Glauben in neuer Weise nachzudenken. Um anderen etwas vom eigenen Glauben erzählen zu können, muss er in Worte gefasst werden. Das hilft, sich selbst bestimmter Glaubensaussagen neu bewusst zu werden. Zum Beispiel ist es eine Voraussetzung für ein vertieftes Glaubensgespräch mit Muslimen, die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes selbst zu verstehen und erklären zu können.
Warum ist religiöse Toleranz wichtig?
Auf einer Konstruktionszeichnung gehört zu jedem Maß die Angabe eines Toleranzbereiches. Daraus wird deutlich: Toleranz ist das Maß einer geduldeten Abweichung vom Idealzustand. Kein Maß ist ohne Toleranz. Keine Toleranz ist grenzenlos. Religiöse Toleranz meint das – mitunter leidvolle – Ertragen der Andersartigkeit des Anderen. Das fällt schwer. Lieber wollen wir uns ihn uns gleich machen („Assimilation“), und wo das nicht gelingt, steht die Ablehnung. Toleranz bewegt sich genau in der Mitte dazwischen und duldet, dass andere Menschen auch Lehren und Auffassungen vertreten und verbreiten, die man selbst möglicherweise für falsch hält.
Das friedliche Zusammenleben der Menschen in einer pluralen Gesellschaft braucht nicht, dass alle einer Meinung sind, dass alle denselben Glauben haben oder dieselbe Kleidung bevorzugen. Es braucht aber Toleranz – sich gegenseitig zu ertragen, obwohl man anderer Meinung ist. Recht verstandene Toleranz schließt Kritik nicht aus, aber akzeptiert das Daseinsrecht des Anderen.
Weitere Texte zu diesem Themenfeld
- Mission Respekt: Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt. Empfehlungen für einen Verhaltenskodex
- Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD, Hannover 2006 EKD-Texte 86
- Was jeder vom Islam wissen muss, hrsg. im Auftrag der VELKD von Martin Affolderbach, Inken Wöhlbrand, Gütersloh 2016
Kurzfassung online: www.velkd.de/publikationen/publikationen-gesamtkatalog.php?publikation=44&kategorie=3
- Gnadauer Verband, Arbeitskreis Theologie: Begegnung mit Muslimen – Eine Arbeitshilfe, Kassel 2017
- Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 2015
Anmerkungen
1 Ein Beispiel dafür ist die Charte des Liberal-Islamischen Bundes. Dieser repräsentiert zwar derzeit nur eine Minderheit, zeigt aber, dass entsprechende Aussagen auch innerhalb islamisch-religiöser Begründungen möglich sind. https://lib-ev.jimdo.com/app/download/18015751125/2017_05_23_LIB-Charta_Überarbeit_2019_05_02.pdf?
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