Gegenseitige Feindbildpflege

Der Karikaturenstreit und seine Folgen

Die Fakten

Die Geschichte des Karikaturenstreites begann mit einem Kinderbuch in Dänemark. Das Buch „Der Koran und das Leben des Propheten Mohammed“ sollte illustriert werden. Jedoch wagte es der vom Verlag dafür gewonnene Zeichner es aber nicht, seinen Namen mit im Buch abdrucken zu lassen - aus Angst vor Verfolgung durch Muslime. Davon hörte der Kulturchef der kleinen rechtskonservativen Zeitung Jyllands-Posten und veranstaltete einen Karikaturenwettbewerb, um auszutesten, wieviel Selbstzensur sich Karikaturisten bei diesem Thema auferlegen würden. Von 40 angesprochenen Karikaturisten beteiligten sich 12. Deren Bilder wurden bereits am 30. 9. 2005 unter dem Titel „Das Gesicht Mohammeds“ veröffentlicht. Die Absicht hinter der Veröffentlichung war durchaus Provokation bis an die Schmerzgrenze. Gleichwohl blieben zunächst die Proteste aus. Auch ein Abdruck der Bilder in der ägyptischen Zeitung Al Fager am 17. Oktober 2005 änderte daran vorerst nichts. Dass aus den Bildern ein weltweiter und zum Teil auch blutiger Protest wurde, hängt folglich nicht an den Bildern selbst, sondern an deren Instrumentalisierung zu pauschalisierender Feindbildpflege auf muslimischer Seite. Die daraus entstehenden Bilder randalierender Massen dienten westlichen Nachrichtenmedien ihrerseits nicht weniger zur pauschalisierenden Feindbildpflege. Darum ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Eskalation des Konfliktes nicht primär aus der „ungestümen Intoleranz aller Muslime“ resultiert, sondern aus gezielter Lobbyarbeit von Provokateuren auf beiden Seiten.

Die zusätzlichen BilderBild entfernt.

Eine Gruppe dänischer Imame wollte im Rahmen einer Reise nach Ägypten und Libanon die empfundene Unterdrückung des Islam in Dänemark anprangern. Dafür produzierten sie ein Heft, in dem die 12 Karikaturen der Zeitung und zusätzlich drei weitere, wesentlich beleidigendere Abbildungen aufgeführt waren. Ein verfremdetes Agenturfoto von einem französischen Wettbewerb im Schweinequieken mit einem Mann mit Schweinemaske wurde ebenso als Mohammed-Darstellung mit abgedruckt wie eine krakelige Zeichnung, die Mohammed als pädophilen Dämon beschimpft. Dieses Heft stellten die Imame Vertretern der Arabischen Liga sowie anderen einflussreichen Persönlichkeiten vor. Erst dadurch erreichte das Thema eine größere Breitenwirkung.

Inszenierte Proteste

Die daraufhin losbrechende Welle der gewaltsamen Proteststürme ist nur damit zu erklären, dass die Karikaturen zum Anlass und zum Überdruckventil wurden, in dem sich eine ganze Reihe angestauter Frustrationen und Wut in gezielter Empörung entluden.

Woher haben in ärmlichen Verhältnissen lebende Muslime plötzlich eine dänische Flagge, um sie dann sofort bereitwillig beim Auftauchen einer Fernsehkamera in Flammen aufgehen zu lassen? Woher wissen Muslime weltweit plötzlich, was in dänischen Provinzblättern steht? Warum brachen nicht bereits beim Abdruck der Bilder in Ägypten die Proteststürme los?

In der Tageszeitung „Die Welt“ wurde überlegt, „warum Millionen Muslime bereit sind, wegen ein paar dänischer Zeichnungen auf die Straße zu rennen, andererseits aber selten den Mut aufbringen, gegen Diktatur und Korruption in den eigenen Ländern zu protestieren. Die Antwort ist auf den ersten Blick einfach: Weil solche Demonstrationen von den Sicherheitskräften rasch niedergeknüppelt würden, während die selben Sicherheitskräfte, Funkgerät in der Hand, viele der Karikaturen-Demos selbst organisierten.“1

Die populären Thesen von Samuel Huntington vom „Zusammenprall der Kulturen“ verführen dazu, wirtschaftliche Konflikte als ethnisch-kulturelle Auseinandersetzungen zu deuten und gleichsam religiös aufzuladen.2 Es ist nun aber keineswegs so, dass Muslime gar nicht anders könnten, als gleich draufzuschlagen, wenn es so aussieht, als ob jemand ihren Religionsstifter bildlich darstellen wöllte. Es gibt in der muslimischen Geschichte eine ganze Reihe bildlicher Darstellungen von Mohammed - manche mit aus Pietät verschleiertem Gesicht, aber auch viele, die ihn vollständig zeigen.3

Wichtig ist ein offener Dialog ohne Heuchelei. Die ist aber auf beiden Seiten eng mit der Empörung verbunden. Die Pressefreiheit, die in den Diskussionen oft so wacker verteidigt wird, ist schnell ausgehebelt, wenn wirtschaftliche Interessen davon berührt werden. Auf die Gefährdung der Presse- und Ausdrucksfreiheit durch die modernen Ausuferungen des Urheberrechtes hat in diesem Zusammenhang das Magazin Telepolis hingewiesen. „Würden Moslems ihren Propheten als Markenzeichen eintragen, hätten sie gute Chancen, die Karikaturen sofort und fast überall qua WTO und andere internationale Organe zu unterbinden.“4 Die Macht der Religion von „Geistigen Eigentum“ sorgt laut Telepolis dafür, dass Anwälte die Meinungsfreiheit im Westen wesentlich umfassender einschränken, als dies die Mullahs fordern. Kaum jemand stößt bei seiner täglichen Arbeit so an die Beleidigungsgrenzen traditioneller Religionen, dass er Repressalien fürchten müsste. Wer jedoch eine Website betreibt, Software schreibt, Musik macht, sich einen Loginnamen bei eBay zulegt oder einfach nur in einem Forum postet ist jeden Tag den Zensurangriffen der Wächter der Markenrechte in der Religion vom „Geistigen Eigentum“ ausgesetzt.

Auf der anderen Seite wirkt die Empörung der Muslime auch zwiespältig, wenn man beobachtet, wie unverholen vor allem Juden in arabischen Fernsehsendungen verunglimpft und beleidigt werden. So strahlte der libanesische TV Sender Al Manar eine Verfilmung der „Protokolle der Weisen von Zion“ aus. In einer Folge opfern Rabbis ein Kind, um das Blut für Matze beim Passah zu verwenden.

Wenn dieser offene Dialog von Christen im christlichen Geist geführt wird, bedeutet dies, dass er im Geist der Liebe geführt werden muss. Das schließt ein, auf unnötige und provozierende Verletzungen der religiösen Empfindungen des Gegenübers zu verzichten. Es schließt andererseits ebenso ein, notwendigen Auseinandersetzungen nicht auszuweichen.

Harald Lamprecht

1. Die Welt, 15. 2. 2006

2. Reinhard Hempelmann: Kommt ein Zusammenprall der Kulturen? Materialdienst der EZW 3/2996, 83

3. www.zombietime.com/mohammed_image_archive/

4. telepolis, 16. 2. 2006 (http://www.telepolis.de/r4/artikel/22/22047/1.html)

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2006 ab Seite 05