Harry Potter im Deutschunterricht?

Warum man sich als Christ nicht davor fürchten muss

Der Konflikt

Seit die Bücher um Harry Potter auf dem Markt erfolgreich sind, gibt es auch Kritik an ihnen. In Chemnitz erregte im März 2007 ein Fall großes Medieninteresse: Zwei Elternpaare hatten sich dagegen ausgesprochen, dass der erste Band der Harry-Potter-Reihe „Harry Potter und der Stein der Weisen“ im Deutschunterricht einer 5. Klasse behandelt werden sollte, weil dies ihre religiösen Gefühle verletze. Der Schulleiter hat sich diesem Ansinnen nicht verschlossen. Nach einem Elternabend mit kontroversen Diskussionen wurde mit der Deutschlehrerin vereinbart, nach Alternativen zu suchen. Im Ergebnis wird Harry Potter nur in höheren Klassenstufen bzw. in Gruppenarbeiten behandelt, wo keine Kinder beteiligt sind, die damit ein Problem haben.

Über diesen Vorgang berichteten die Chemnitzer Freie Presse und in den Tagen danach auch etliche überregionale Tageszeitungen sowie Rundfunk und Fernsehen. Dabei wurde auch nach der Position der Ev.-Luth. Landeskirche in dieser Sache gefragt. Weil die Kurzberichte in den Medien nicht die Hintergründe der Argumentation wiedergeben können, soll dies hier mit etwas größerer Ausführlichkeit versucht werden.

Zwei Fragen

Genau genommen geht es in der aktuellen Debatte um zwei verschiedene Fragen, die besser auseinander gehalten werden sollten.

Die erste Frage ist die der Bildungspolitik. Sie handelt davon, wie weit in einer Schule, in der die Schüler zwangsweise am Unterricht teilnehmen müssen, auf die religiösen Gefühle der Schüler Rücksicht genommen werden darf oder muss. Hier ist Sensibilität sicherlich notwendig. Nicht jede Rücksicht an dieser Stelle ist sofort mit Bildungszensur gleichzusetzen und nicht jede mögliche Geschmacklosigkeit im Unterricht ist als Bildungsziel notwendig zu dulden. Während der DDR-Zeit habe ich mich auch aus religiösen Gründen dem Bildungsziel der DDR-Zivilverteidigung verweigert, aus jedem Bürger einen Kampfgruppensoldaten zu erziehen, und habe eine Unterrichtsbefreiung von dieser Einheit bekommen. Es kann immer wieder Situationen geben, in denen der Glaube und die Verantwortung vor dem eigenen Gewissen einem Menschen gebietet, nicht alles mitzumachen, was von ihm gefordert wird. Dies ist auch eine evangelische Grundeinsicht. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des Schulleiters zu begrüßen, eine einvernehmliche Lösung mit den Betroffenen zu suchen.

Die andere Frage ist die theologische Frage, ob die Harry Potter-Bücher vom Standpunkt des evangelischen Glaubens so grundsätzlich abzulehnen sind, wie es der Einspruch der betroffenen Eltern nahe legt. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

Der Teufel kommt als Engel des Lichts

Schon Paulus spricht in 2. Kor. 11,14 davon, dass der Teufel sich als Engel des Lichtes verkleidet. Damit ist eine wichtige theologische Einsicht ausgedrückt: Das Böse lässt sich (leider) nicht einfach an seinem Äußeren erkennen. Es kommt oft in verkleideter Gestalt daher. Nicht das Aussehen ist entscheidend, sondern der Inhalt und die Wirkung. Manches, was uns gut erscheint, erweist sich doch später als großer Fehler und in seiner Wirkung als verheerend. Gut gemeint ist eben nicht immer gut. Das Dämonische steckt in dieser Umkehr. Unser deutsches Wort Teufel stammt von dem griechischen „diabolos“, dem Durcheinanderbringer. Die Verkleidung gilt folglich auch in der anderen Richtung: manches, was auf den ersten Blick böse oder hässlich erscheinen mag, ist es in Wirklichkeit gar nicht, sondern verbirgt einen guten Kern. Das ist nicht nur im Märchen vom Froschkönig so, sondern auch in der täglichen Erfahrung. Oft ist der Bettler anständiger als der König. Hier ist es wichtig, genau hinzusehen, will man nicht selbst unbeabsichtigt in des „Teufels Küche“ stolpern.

Die Bibel warnt vor Zauberei

Richtig ist und bleibt, dass die Bibel nachdrücklich davor warnt, mit Magie den Bereich der eigenen Macht ausdehnen zu wollen. Jeder Versuch, mit Wahrsagen das eigene Leben vorhersehen oder mit Orakelpraktiken die Pläne Gottes erfahren zu wollen, wird in der Bibel deutlich abgelehnt. Die zum Teil auch gewalttätigen Praktiken der benachbarten Völker, mit Opfern sogar der eigenen Kinder den göttlichen Willen zu erkunden, wird ebenso wie Wahrsagerei, Geisterbeschwörungen und Totenbeschwörungen scharf verurteilt (vgl. z.B. 5. Mose 18, 9-14). Das ist auch heute gegenüber all denen zu betonen, welche die Unsicherheiten des Lebens mit Magie zu bewältigen versuchen. Ob Pendel oder Horoskop, ob Tarot-Karten oder Handlese-Orakel: Wer meint, die Dinge der Schöpfung könnten verraten, was der Schöpfer nicht verraten will, verstößt gegen das erste Gebot. Zauberei und Wahrsagerei werden in der Bibel immer in ihrem Zusammenhang mit Götzendienst gesehen und in ihren negativen Auswirkungen für die menschliche Gemeinschaft beschrieben (vgl. Gal. 5,20).

Es gibt in der Gegenwart zunehmend mehr Menschen, die sich selber als Hexen und Magier verstehen. Viele von ihnen wollen alte heidnische Religionen wieder aufleben lassen. Sie betreiben magische Rituale, um Naturkräfte und Geistwesen zu beschwören, damit diese ihnen dienstbar sind. Sie verwenden magische Amulette, um sich vor Gefahren zu schützen. Sie verkaufen Steine, Rezepte und Mixturen, welche Einfluss auf das Schicksal ihrer Klienten nehmen, feindliche Kräfte bannen oder positive Energien ansammeln sollen. Diese Menschen versuchen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Auch wenn die wenigsten von Ihnen unmittelbar den Teufel beschwören - die Anrufung von verschiedenen Göttern gehört in diesen Kreisen fest zum Programm. Was die Bibel mit dem Wort „Glaube“ beschreibt: Vertrauen auf Gott und seine Hilfe, das wird von diesen Personen oft mehr oder weniger deutlich abgelehnt.

Ursachen der Kritik

Die Kritik an Harry Potter entzündet sich an der Einkleidung der Geschichte in eine magische Welt voller Hexen und Zauberer. Wenn bei Harry Potter nun die Zauberer plötzlich nicht mehr böse sind, sondern gut, Hexen die Lehrerinnen sind und die Magie eine alltägliche Handlungsmöglichkeit darstellt, dann ist das zunächst sehr irritierend. Aus dieser Situation resultiert die Ablehnung.

Ist sie aber berechtigt? Ist Harry Potter tatsächlich mit dem Teufel im Bunde? Führt er seine Leser zur Missachtung göttlicher Gebote? Verdunkelt er das Evangelium? Worum geht es bei Harry Potter wirklich?

Was geschieht bei Harry Potter?

Die wichtigste Feststellung ist, dass Harry Potter - entgegen dem ersten Augenschein - mit diesen von der Bibel verurteilten Praktiken nichts zu tun hat. Denn die Begriffe „Zauberei“ und „Magie“ sind in den Büchern ganz anders gefüllt. Zwischen Harry Potter und seinen Freunden einerseits und den Kreisen moderner Hexen und Magier in der neuheidnischen und esoterischen Szene liegen Welten. Keineswegs führt die Beschäftigung mit Harry Potter direkt zu den heutigen Hexen und Magiern oder zu einer Verehrung teuflischer Mächte. Dies kann man anhand einiger konkreter Beobachtungen deutlich zeigen.

Phantastische Gegenwelt

Mit der Welt von Harry Potter entwirft die Autorin J. K. Rowley eine phantastische Gegenwelt. Bei einer Fabel wird das Geschehen in das Reich der Tiere verlegt um den Menschen einen Spiegel vorzuhalten. Ähnlich ist in den Potter-Romanen die Welt der Zauberer ein phantastisches (Tier-)Reich, in dem vieles anders, aber noch mehr doch ganz genauso wie in der normalen Welt ist. Es gibt in der Zauberwelt Schule und Freizeit, kluge und dumme Menschen, Freud und Leid. Es gibt Politik und Krankenhäuser, Verkehrswesen und Kultur. Die Zauberei gehört aber zu den Dingen, die in Harry Potters phantastischer Welt eben nicht genauso sind, wie in der irdischen Welt, sondern die es nur dort gibt. Das ist für die Beurteilung sehr wichtig. Das Erfinden einer phantastischen Welt ist nicht verwerflich. Dass die dortigen Wesen nicht sprechende Tiere sind, sondern „Hexen“ und „Zauberer“ genannt werden, ist vielleicht irritierend, aber an sich noch kein Verbrechen. Für eine vernünftige Bewertung ist nicht entscheidend, wie sie heißen, sondern was diese Wesen tun. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass in Harry Potters Welt zwei Bereiche fehlen, die in unserer Welt prägend sind: 1. die Technik, und 2. die Religion.

Magie als Technikersatz

Magie ist bei Harry Potter weithin schlicht der Ersatz für „Technik“. Wo in der normalen Welt der „Muggel“ Autos und Flugzeuge benutzt werden, reist man als Zauberer mit dem Besen oder mit Flohpulver. Wo hier Geschirrspüler ihren Dienst tun, wäscht sich dort das Geschirr selbst ab. Während für heutige Magier die Vorstellung von kosmischen „Energien“, welche zu spüren oder zu manipulieren seien, grundlegend ist, kommt dieses Wort und die damit verbundene Vorstellung bei Harry Potter überhaupt nicht vor. Die latinisierten „Zaubersprüche“ bei Harry Potter bezwingen keine Geistwesen, noch viel weniger versuchen sie, den Teufel zu beschwören, sondern sie bewegen sich zwischen kindlicher Phantasie und Technikersatz. Man benutzt den Zauberstab als Megaphon und Schlüssel, als Reparaturwerkzeug, Taschenlampe und Waffe. Besonders bei dem Stichwort „Fluch“ wird der Unterschied deutlich: Während ein Fluch in der realen Welt in seiner Wirkung eine schwer zu durchschauende langwierige Schicksalsverstrickung bezeichnet, gleicht er bei Harry Potter einem Pistolenschuss. Man kann sich damit duellieren, man kann sich wegducken und daneben treffen - dann gibt es sogar einen Einschlagskrater. Ohne Zauberstab hingegen ist man machtlos. Waffen sind gefährlich, wenn sie in die falschen Hände geraten. Das gilt auch in der phantastischen Welt von Harry Potter und sorgt dort für die Dramatik im Kampf gegen das Böse.

Die Magie bei Harry Potter ist gerade nicht zur Lösung von Lebensproblemen dienlich. Seine Hausaufgaben kann er damit ebenso wenig wegzaubern, wie seine Verlegenheit gegenüber der Mitschülerin Cho überwinden. Die versuchten Liebeszauber in Band 6 gehen so gründlich daneben, dass man das Buch sogar als Warnung vor Magie im Leben lesen könnte.

Religionslos

Neben der Technik fehlt in Harry Potters Welt auch die Religion. Für sie gibt es aber keinen Ersatz. Damit ist diese Welt ein Spiegel der modernen säkularisierten Welt, in der noch einige Reste christlichen Brauchtums akzeptiert sind (z.B. Weihnachten), religiöse Fragen und Deutungen aber weithin verschwunden sind. Daraus resultieren aus christlicher Perspektive einige Schwächen des Buches. Insbesondere im Umgang mit Tod und Trauer zeigt sich hier - trotz lobenswerter Ansätze zur Thematisierung dieser verdrängten Bereiche - aber doch eine große Sprachlosigkeit und vor allem eine Hoffnungslosigkeit, die in der säkularen Perspektive erstarrt.

Auf der anderen Seite bedeutet die Religionslosigkeit aber auch, dass Harry Potter und seine Freunde keine andere Religion propagieren. Sie sind eben keine Vertreter eines neuen Heidentums, das alten Naturgottheiten huldigen will, archaische Bräuche wiederbeleben und Magie zur neuen Religion erklären möchte. Im Gegenteil: typischen esoterischen Praktiken wie Wahrsagen stehen Harry Potter und seine Freunde ausgesprochen skeptisch gegenüber. Die biblisch verbotene Totenbeschwörung gibt es bei Harry Potter ebenfalls nicht und wird explizit abgelehnt. An dieser Stelle sind die modernen Bibi Bloxberg-Verfilmungen viel esoterischer - und damit aus meiner Sicht gefährlicher - als Harry Potter (vgl. Confessio 5/2004, 13-16).

Ethisches Potenzial für den Unterricht

Die gefühlte Gefahr, dass Harry Potter zu realer Magie hin und damit vom christlichen Glauben weg führt, besteht also gar nicht in dieser Weise. Wer sich von diesen Ängsten befreit, kann erkennen, dass es bei Harry Potter in vielerlei Hinsicht sogar ethisch hoch anständig zugeht. Die Helden Harry, Ron und Hermine eigenen sich von daher sogar sehr gut, um moralische Fragen im Schulunterricht zu besprechen.

So ist zum Beispiel festzustellen, dass das Böse bei Harry Potter nie einfach an Äußerlichkeiten festgemacht wird. Über den moralischen Charakter entscheidet nicht die Abstammung oder das Aussehen, nicht der Reichtum oder magische Fähigkeiten (oder Unfähigkeiten), sondern allein das individuelle Verhalten, welches von persönlichen Entscheidungen abhängig ist. Es gibt gute und böse Zauberer (Extreme: Dumbledore und Voldemort), es gibt gute und böse Muggel und selbst bei den Hauselfen hängt es nicht davon ab, welcher Familie sie dienen, sondern wie ihre inneren Einstellungen sind (Dobby vs. Kreacher). Dies wird mit Nachdruck immer wieder gegen die rassistische Abstammungsmystik von Potters Gegnern artikuliert.

Die Aufgaben, vor die Harry Potter gestellt wird, hat er sich nicht selbst ausgesucht, um seinen Heldenmut zu beweisen. Im Gegenteil: am liebsten möchte er ein ganz normaler Junge sein. Aber die Umstände fordern von ihm Entscheidungen. Bisher hat er sich - nach innerem Ringen - nicht für den eigenen Vorteil, sondern fast immer aus wahrgenommener Verantwortung für das Gemeinwohl in seine Abenteuer begeben. Band 1 (Harry Potter und der Stein der Weisen) schildert Freundschaft und warum es lohnt, in der Schule aufzupassen - sonst hätten die Freunde die Rätsel nicht lösen können. In Band 2 begibt sich Potter in größte Gefahr, um Rons Schwester zu retten, während sein Lehrer nur auf seinen Ruf bedacht ist. Band 3 (Harry Potter und der Gefangene von Askaban) warnt vor falschen Verurteilungen und zeigt, dass die Wahrheit anders sein kann als der erste Schein. Band 4 (Harry Potter und der Feuerkelch) liefert u.a. ein Beispiel für Völkerverständigung, gegen Rassismus und ein Plädoyer für Fairness im Sport. Band 5 thematisiert den notwendigen Widerstand in ungerechten Diktaturen. Band 6 behandelt die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terror.

Gutes mit Bösem?

Gelegentlich wird gegen Harry Potter eingewendet, er sei unmoralisch weil er das Böse mit Bösem bekämpfe und zur Übertretung von Regeln auffordere. Diese Argumente greifen zu kurz. Wer die Bücher gelesen hat, weiß: Harry Potter bekämpft das Böse gerade nicht mit Bösem, er vernichtet seine Feinde nicht so rücksichtslos und grausam, wie Lord Voldemort. Ein deutliches Beispiel dafür findet sich in Band 3. Dort wird er mehrfach aufgefordert, Voldemorts Verbündeten Peter Pettigrew zu töten, aber er verschont ihn, um ihn einem ordentlichen Gerichtsverfahren auszuliefern. Dass er seinen Zauberstab einsetzt, gehört zu seiner Welt und ist in dieser seiner Welt nicht böse. Dass er während seiner Abenteuer gelegentlich genötigt wird, Schulregeln zu brechen, ist kein Beweis für moralisches Versagen, sondern gerade das Gegenteil: Es ist Ausweis für echte moralische Verantwortung. Dazu gehört es, dass man in der Lage ist, eine Güterabwägung vorzunehmen, wenn verschiedene Rechtsgüter miteinander kollidieren. Wenn ein höherwertiges Gut nur bewahrt werden kann, indem man einen Rechtsverstoß niederen Ranges begeht, dann kann es Umstände geben, in denen dieser Verstoß moralisch nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten ist. Jesus, hat die frommen Juden angeklagt, welche dies nicht akzeptierten und das Sabbatgebot über das Liebesgebot setzen wollten (vgl. Mt. 12, 1-14).

Harry Potter begeht die Regelverstöße nicht mutwillig und aus einer Laune heraus, sondern schweren Herzens in wahrgenommener Verantwortung. Darin ist er moralisches Vorbild.

Was Harry Potter den Christen zumutet ist vor allem die Vorstellung, dass auch ein Mensch, der nicht wöchentlich eine christliche Kirche besucht oder sonst ein erkennbar religiöses Leben führt, ein anständiger Mensch sein kann.

Bedenkliches

Nun soll hier kein ungebrochenes Loblied auf Harry Potter gesungen werden. Der Mangel an Religion wurde schon angesprochen. Nicht alle Bände sind zudem gleichermaßen für den Schulunterricht geeignet. Insgesamt kann man sagen, dass von Band zu Band die Stimmung düsterer wird und die Anforderungen steigen. Die Horror-Elemente in der Grabeszene am Schluss des 4. Bandes sind nichts für die Grundschule. Band 5 und 6 sind in der Story unlogischer und schwerfälliger als Band 1-4, zudem wird es psychologisch beklemmender. Insgesamt spürt man dort mehr den Einfluss eines modernen philosophierenden Action-Kinos á la Matrix.

In der aktuellen Auseinandersetzung ging es freilich nicht um die Behandlung von Band 5 in der ersten, sondern von Band 1 (!) in der 5. Klasse - dagegen ist nichts einzuwenden.

Phantasie und Realität

Entscheidend ist die Trennung zwischen Phantasie und Realität. In der Phantasie sind Dinge möglich, die in der Realität nicht funktionieren. Wer hätte sich nicht schon einmal gewünscht, plötzlich unsichtbar sein zu können? Solche Ideen sind natürlich und es macht Spaß, sie weiter zu spinnen. Damit begibt man sich keineswegs in den Bannkreis von Dämonen. Gefährlich ist es aber, wenn man die Grenze zwischen Phantasie und Realität nicht mehr wahrnimmt. Wer meint, er könne im wirklichen Leben durch ein magisches Ritual seine Probleme bannen, der irrt sich gewaltig und wird davon nicht freier, sondern abhängiger. Folglich kann man sagen: je phantastischer die Phantasie, desto besser, weil dann solche Verwechslungen weniger leicht passieren. In dieser Beziehung stehen die Harry Potter-Bücher ganz gut da. Ich habe jedenfalls noch kein Kind getroffen, dem beim Harry-Potter-Spielen nicht klar gewesen wäre, dass sein Zauberstab in Wirklichkeit nur ein Holzstock ist. Kinder können im Normalfall bei aller Begeisterung dennoch sehr gut zwischen Phantasie und Realität unterscheiden.

Warnung vor Trittbrettfahrern

Es gibt allerdings Gruppen, die bewusst versuchen, die Grenze zwischen Phantasie und Realität zu verwischen und die Harry-Potter-Begeisterung vieler Kinder und Jugendlicher für ihre Zwecke auszunutzen. Sie benutzen Harry Potter, um für ihre ganz anders gearteten magischen Vorstellungen zu werben. Wenn im Fernsehen auf die Berichte über das Erscheinen eines neuen Potter-Bandes direkt ein Beitrag folgt, in dem eine Hamburger Psychotherapeutin vorgestellt wird, die ihren Lebensunterhalt als neue Hexe verdient, halte ich das für sehr gefährlich. Die Arbeit von Eltern und Pädagogen sollte diesem Grenzbereich große Aufmerksamkeit widmen, um Kindern und Jugendlichen diesen Übergang bewusst zu machen.

Fernhalten oder Vorbereiten? Vom sinnvollen Umgang mit Gefahren

Gerade aus diesem Grund halte ich es für sinnvoll, wenn sich Kinder ohne Angst mit den Harry-Potter-Büchern auseinandersetzen können. Dann sind sie auch in der Lage, zwischen der phantastischen Welt bei Harry Potter und den falschen Versprechungen neuer Hexen und Magier zu unterscheiden. Niemand soll gezwungen werden, die Bücher zu lesen. Sie gefallen auch nicht jedem. Aber ich sehe auch keinen nachvollziehbaren Grund, Kinder, die selber lesen können, vom Lesen dieser Bücher abzuhalten.

Denjenigen Eltern, welche Sorgen aufgrund der magischen Einkleidung der Potter-Bücher haben, möchte ich raten, diese Bücher mit ihren Kindern zusammen zu lesen. Dann haben sie die beste Möglichkeit, Ihre Sicht der Dinge den Kindern begründet zu vermitteln. Einfach die Bücher zu verbieten ist die schlechteste aller denkbaren Möglichkeiten. Solches erzeugt verschiedene unkontrollierbare Reaktionen und bewirkt nicht selten das Gegenteil von dem eigentlich Beabsichtigten: statt Kinder von Magie fern zu halten, wird sie ihnen erst interessant gemacht: Das klappt wohl wirklich? Die Bücher sind wohl so gefährlich, dass ich sie nicht mal lesen darf?

Angesichts der Verbreitung von Harry Potter kann man die Kinder nicht wirksam davon fern halten, will man sie nicht aus der Gesellschaft wegschließen. Das kann aber kein pädagogisches Ziel sein. Besser scheint es mir darum, wenn sie anhand von Harry Potter mit Hilfe ihrer Eltern und Lehrer lernen können, was ins Reich der Phantasie gehört und was für das Leben wichtig ist. Moralisches Verhalten können sie auch von Harry Potter lernen, für das Vertrauen auf Gott brauchen sie aber ihre Eltern.

Harald Lamprecht

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2007 ab Seite 08