Magier in Grundausbildung

Neue Teenager-Zeitschriften werben für Magie (2002)

Mysteria

Coverblätter Mysteria ist der Titel einer neuen Zeitschrift, die sich speziell an Teenager richtet. Die gerade einmal fünf Doppelseiten sind mit drei Euro zwar teuer bezahlt, dürften aber kaum das Lesevermögen der jugendlichen Käuferinnen überfordern. „Feel the Magic“ lautet der Untertitel der Zeitschrift, und auf der Titelseite des ersten Heftes klebt ein „Feng–Shui–Glücksmünzen–Set“. Überhaupt steht das gesamte Heft unter der Überschrift „Feng–Shui“. Allerdings hat es bei näherer Betrachtung kaum etwas mit der alten chinesischen Geomantie zu tun, sondern benutzt dieses Wort vor allem als exotisches Synonym für „Magie“. In diesem Sinn beschreibt die erste Doppelseite „Feng Shui–Basics“ dann auch die Verwendung der beigelegten „Glücksmünzen“, die zusammengebunden „das Gute anziehen“ und „Glück und Wohlstand“ bringen sollen. Im Geldbeutel ziehen sie das Glück in finanziellen Dingen magisch an – so wird versprochen – und helfen beim Schnäppchenjagen ebenso wie gegen einen nörgelnden Freund beim Shoppen. Als weitere Amulette werden angepriesen:

  • ein „Glücksherz aus rotem Kristallglas“ („Magic Love“), das die große Liebe verspricht und „Vertrauen ungestört wachsen“ lassen soll,
  • ein Regenbogenkristall („Magic Friends“), der Herzen öffnen, Einsamkeit vertreiben und Freundschaften vor schlimmen Mißverständnissen schützen können soll und
  • ein Rosenquarz–Buddha („Magic Family“), dessen Aufgabe es sei, Schicksalsschläge abzuwehren und für Harmonie zwischen den Menschen zu sorgen.

Der nächste Abschnitt „Feng Shui–Storys“ enthält drei mysteriöse Kurzgeschichten (allesamt aus Mädchenperspektive), „Feng Shui–Wellness“ führt in die Verwendung von Räucherstäbchen und Duftölen ein und der „Feng Shui–Test“ versucht anhand von 6 Fragen die Leserin einem der 5 klassischen Feng Shui–Elemente (Metall, Wasser, Holz, Feuer, Erde) zuzuordnen. Die Beschreibungen dazu lesen sich wie aus der Horoskopspalte einer beliebigen Tageszeitung.

Erst die letzte Doppelseite dringt mit „Feng Shui–Deko“ in das eigentliche Terrain der Raumgestaltung vor – allerdings auch nicht sehr tief. Der Focus liegt auf kaufbaren Assecoirs, wie dem obligatorischen Windspiel, holzgeschnitzten Delphinpärchen oder der bald unvermeidlichen Salzkristalllampe. Selbstverständlich sind die Versandadressen der Utensilien nebst vager Preisauszeichnung angegeben. Der praktische Nutzen der über die Seite verstreuten „Tipps“ scheint auch dann unmittelbar einleuchtend, wenn man die angegebene Begründung nicht nachvollziehen möchte:

  • „Nur in einem aufgeräumten Zimmer können sich die wichtigen Energieströme bilden und entfalten“
  • „Trenne dich von allem, was kaputt ist und was du nicht mehr brauchst. Diese Dinge hemmen die guten Gefühle.“
  • „Mach einmal am Tag das Fenster auf, so kommen positive Schwingungen in dein Zimmer.“

Die letzte Seite „Magic Love“ preist Feng Shui als Wundermittel in vielerlei Liebesdingen, egal ob mit „zauberhaften Tricks“

  • das erste Date gerettet („Stelle zwei rote Kerzen in die südliche Ecke deines Zimmers“),
  • eine drohende Trennung abgewendet („Stecke ihm bei eurem nächsten Treffen ein Kristall–Herz in die Jackentasche, es symbolisiert im Feng Shui die Liebe.“) oder
  • ein Ex–Freund abgewimmelt („Nimm eine getrocknete Blume und stelle sein Foto davor. Im Feng Shui stehen getrocknete Blumen für die Vergänglichkeit.“) werden soll.

Bei sehr aufwändiger grafischer Gestaltung ist die inhaltliche Dürftigkeit des Heftes schwerlich zu übertreffen. Wenn unter der bunten Oberfläche wenigstens halbwegs zutreffende Sachinformationen zu traditionellen chinesischen Glaubensvorstellungen verborgen wären, hätte man der Sache wenigstens noch einen positiven Nebeneffekt abringen können. So bleibt nach dem Durchblättern (Lektüre mag ich das nicht nennen) das schale Gefühl zurück, dass lediglich einem ohnehin prosperierenden Geschäftszweig neue Kunden aus einer bisher scheinbar unterrepräsentierten Zielgruppe zugeführt werden sollen. Die dazu ausgelegten Köder grenzen an systematische Volksverdummung. Das ist auf dem Esoteriksektor zwar kein seltenes Phänomen, in einer besonders für Jugendliche entwickelten Zeitschrift aber besonders bedenklich.

Magic World

Im Vergleich zu „Mysteria“ erhalten die wohl vorwiegend männlichen jungen Käufer der ersten Nummer von „Magic World“ für weniger Geld (2,80 EUR) mehr, immerhin 15 bunt bedruckte Doppelseiten. Dafür ist die grafische Gestaltung weit weniger aufwändig und die Bilder wirken mitunter recht lieblos und z. T. ohne Zusammenhang mit dem Text ins Layout gesetzt. Damit trotz des größeren Seitenumfanges auch hier nicht zu viel Text vom Lesen abschreckt, wurde die Schriftgröße kräftig erhöht und zudem bald jeder dritte Satz fett gedruckt.

Magic World präsentiert sich als eine Zeitschrift für „Spiele, Geheimnisse und Kurioses aus der Grusel– und Zauberwelt“. Als Aufmacher dienen Filmbilder von „Harry Potter“ und dem „Herrn der Ringe“. Der „Leitartikel“ beschreibt das Ziel der neuen Zeitschrift, und sollte sorgsam zur Kenntnis genommen werden:

„Ohne Zweifel findet die Phantasie in einer Welt, die immer weniger Freiheit zulässt, ihre Dimension wieder. Vielleicht wurde der Magie aber auch nur der ihr gebührende Platz eingeräumt. Aber ihr, Kinder, steht nicht nur da, sondern bewegt euch! Kommt mit uns in eine Welt der Zauberer Elfen, Dämonen und Feen. Interessiert euch die Zauberkunst etwa nicht? Wollt ihr nicht direkt am endlosen Kampf von Gut und Böse teilhaben? Wir haben keine Zweifel. Deshalb laden wir euch ein, aufmerksam die Seiten von Magic World durchzublättern. Ihr habt jetzt die erste Ausgabe eines Heftes in der Hand, das wir mit der Absicht geschaffen haben, euch nach und nach durch die Welt des Zaubers zu führen und allem, was sonst noch Gänsehaut bereitet. Ein Schaudern vor Spannung oder Grauen: Die Wahl bleibt ganz bei euch.“

Ganz im Sinn dieser erklärten Absicht bemüht sich die erste Doppelseite um die Unterscheidung von Magie und Phantasie. Während in der Phantasie die Wirklichkeit lediglich in den Träumen den eigenen Wünschen angepasst werden kann, erlaubt die Magie – so die anonymen Autoren – „etwas (vielleicht reelles) in etwas anderes zu verwandeln, das uns besser gefällt. Dazu muss man aber die entsprechenden Tricks und Zaubersprüche kennen. Für jede Situation gibt es andere und alle auswendig zu lernen ist keine leichte Sache. Also nochmal: Magie gibt es. Man muss nur fest genug daran glauben. Alles ist möglich, wenn man wirklich daran glaubt. Verstanden?“

Magie wird hier als ein gewissermaßen wirklicheres Gegenüber zur Phantasie eingeführt. Mit anderen Worten: Phantasie ist schön, aber eben nur Traum. Magie ist besser, denn sie kann die Wirklichkeit gemäß der eigenen Wünsche formen. Dass dabei Magie auf ein plattes Auswendiglernen von Zaubersprüchen reduziert wird, kann man sicher als Anpassung an die Vorstellungswelt der Zielgruppe betrachten. Die Intention der Produzenten ist deutlich: eigene magische Versuche sollen als etwas positives und wirksames empfunden werden.

Nach einer Einführung in die (Sammel–)Kartenspiele „Harry Potter“ und „Magic, the Gathering“ folgt „Die Seite der Zaubersprüche“. Dort wird nach der Ankündigung „Wir von Magic World präsentieren euch sowohl Tricks, als auch Zaubersprüche, natürlich nur positive!!“ ein Ritus beschrieben, „der alles Negative von euch weist“. Dabei soll während ständiger Drehung um die eigenen Achse mit einem Spruch Reis und Salz aus einer Schüssel in den Wind gestreut werden. An den Vollzug des Rituals wird das Versprechen geknüpft: „Bald schon werdet ihr feststellen, dass euer Problem definitiv aus eurem Leben beseitigt wurde. Versucht es selbst!“ Ob sich auf diese Weise die misslungene Klassenarbeit retten lässt? Wohl kaum.

Außer der ausführlich bebilderten Vorstellung der Filme „Harry Potter und der Stein der Weisen“ und „Der Herr der Ringe“ enthält das Heft noch einen Bericht über Feen, zwei kurze (ganz und gar nicht mystische) Comic–Strips und eine Sammlung rätselhafter Phänomene wie entdeckte Riesenschädel, wandernde Steine und spiralförmig wachsende Bäume. Den Abschluss des Heftes bilden „Games News“, die Werbung für das Harry–Potter–Computerspiel und andere Merchandising–Artikel betreiben.

Bekehrung oder Kommerz?

Beiden Zeitschriften ist gemeinsam, dass sie sich vom praktischen Nutzen magischer Praktiken überzeugt zeigen und ihre jugendlichen Leser zu ebensolcher Praxis anregen wollen. In „Mysteria“ geschieht dies einfach durch Präsentation kaufbarer Assecoirs mit verbundenen Wirksamkeitsversprechen. Bei Magic World ist das Anliegen einer „Bekehrung zur Magie“ klarer ausgesprochen, das dahinterstehende kommerzielle Interesse ist freilich ebensowenig zu übersehen. Es scheint vor allem darum zu gehen, ein noch unterentwickeltes Marktsegment zu erschließen und frühzeitig minderjährige Käuferschichten für den Konsum von Erzeugnissen des Esoterikmarktes zu gewinnen. Diese lassen hohe Gewinnspannen erwarten, wird doch meist lediglich das Versprechen einer Wirksamkeit verkauft, aufwändige Produktentwicklung und Textzyklen können meist entfallen bzw. beschränkt sich auf Verpackung und Vermarktung. (Oder wie wollte man einen Rosenquartz–Buddha auf Funktionsfähigkeit testen und optimieren?)

Im Rahmen der Beurteilung von Harry Potter wurde darauf hingewiesen, dass Kinder sehr gut zwischen Realität und Phantasie unterscheiden können. In den Potter–Bänden ist diese Unterscheidung auch ganz klar vorgenommen: am Gleis 93/4 wechselt die Ebene. Im Film ist dies noch deutlicher, da die gesamte Ausstattung urplötzlich von der normalen modernen Gegenwart in einen Historienfilm umschlägt. Bei den genannten Zeitschriften (aber nicht nur dort) kann man nun deutlich den Versuch erkennen, aus kommerziellem Interesse diese Trennung von Phantasie und Realität aufzuheben und Kindern und Jugendlichen die Machbarkeit ihrer Traumvorstellungen auf magischem Wege zu suggerieren.

Dies ist eine sehr problematische Entwicklung. Kinder brauchen Freiheit für ihre Phantasien, die auch solche bleiben dürfen – ohne heimlichem Zwang zur magischen Realisierung. Wer hat sich nicht als Kind einmal gewünscht, zaubern zu können, um die Begrenzungen des Alltags zu überwinden? Es gehört zum Prozess des Erwachsenwerdens hinzu, mit den Einschränkungen des menschlichen Daseins leben zu lernen, ohne auf Visionen, Träume und Wünsche darum verzichten zu müssen.

Problematisch erscheint, dass mit den auf magische Hilfsmittel ausgerichteten Verhaltensweisen immer ein Stück eigene Verantwortlichkeit an den magischen Gegenstand abgegeben wird. Es wird Hilfe von untauglichen Helfern erwartet. Im günstigsten Fall passiert nichts. Im ungünstigeren – aber leider nicht selteneren – Fall kann es zum Entstehen von Abhängigkeiten kommen. Diese Abhängigkeiten haben eine psychologische und eine theologische Komponente. Spätestens, wenn sich ohne Amulett keine Klassenarbeit mehr zugetraut wird oder vor der Begegnung mit dem Freund die Kerzen gerückt werden, ist die Abhängigkeit offensichtlich. Die Zusage Jesu von der Berge versetzenden Macht des Glaubens bezog sich auf das Vertrauen zu Gott, nicht auf die eigene magische Vollkommenheit. Es ist ein schwerer Fehler, in dieser Weise die eigenen Möglichkeiten zu überschätzen.

Zum Umgang

Was sollten Eltern tun, wenn sie feststellen, dass ihre Kinder diese Zeitschriften kaufen?

Ein Verbot ist selten wirklich sinnvoll. Es würde diese Druckwerke erst interessant machen. Typische Reaktionen wären:

„Da steht wohl etwas (wahres?) drin, das ich nicht wissen darf? Meine Eltern halten es für gefährlich, da muss doch was dran sein…“

Dann besorgen sie es sich von Mitschülern und lesen es heimlich. Dass die eigenen Kinder mit solchen Erzeugnissen in Berührung kommen, kann man nicht verhindern. Darum ist es wichtiger, einen angemessenen Umgang damit einzuüben.

Besser als ein Verbot wäre es, wenn es gelänge, die Kinder und Jugendlichen zu der Erkenntnis zu führen, dass diese Hefte es wirklich nicht wert sind, teuer erspartes Taschengeld dafür zu opfern.

Harald Lamprecht (Confessio 3/2002)

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/126

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2002 ab Seite 04