Die Kreuzzüge
Nahezu alle heutigen Ritterorden berufen sich auf ein Ritterideal und Organisationen, die zur Zeit der Kreuzzüge im Mittelalter entstanden sind. Ein Blick auf die Geschichte und die Folgen.
Nahezu alle heutigen Ritterorden berufen sich auf ein Ritterideal und Organisationen, die zur Zeit der Kreuzzüge im Mittelalter entstanden sind. Zur Vorgeschichte der Kreuzzüge gehören drei Ereignisse, die oft nicht alle so im Blickfeld sind, aber für das Machtgefüge der Zeit entscheidende Auswirkungen hatten:
- Im Jahr 1054 manifestiert sich der Bruch zwischen der lateinischen „römischen“ (katholischen) Kirche im Westen und der griechischen „byzantinischen“ (orthodoxen) Kirche im Osten im „morgenländischen Schisma“ – der beiderseitigen Exkommunikation von Papst und Patriarch von Konstantinopel. Die gegenseitige Entfremdung hat sich lange abgezeichnet, nun aber ist der offene Bruch da.
- In Armenien erleidet das Heer der Byzantiner im Jahr 1071 in der Schlacht bei Mantzikert eine vernichtende Niederlage gegen die Seldschuken. Diese brechen daraufhin bis tief in das byzantinische Kernland in Kleinasien ein und blockieren u.a. die Pilgerwege nach Jerusalem. Bei der Idee der Kreuzzüge ging es ursprünglich zunächst lediglich um die Sicherung der Pilgerwege, die durch die Seldschuken gestört waren.
- Der Gang nach Canossa von Kaiser Heinrich IV. zu Papst Gregor VII. markiert den Höhepunkt des Investiturstreites, in dem um das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Macht in Europa gerungen wird.
Motive
Als der byzantinische Kaiser Alexios II. im lateinischen Westen Söldner für den Kampf gegen die Seldschuken anwerben wollte und er dafür um Hilfe bat, gewann die Entwicklung eine Dynamik, mit der er nicht gerechnet hatte. Papst Urban II. nahm sich der Sache an und startete 1095 in Südfrankreich einen Aufruf zur „Pilgerfahrt“ (peregrinatio). Der Begriff „Kreuzzug“ stammt erst aus dem 19. Jahrhundert. Damals ging es um eine Wallfahrt, ein religiöses Unternehmen, welches die Chance auf das eigene Seelenheil verbessern sollte. „Gott will es“ (Deus lo vult) war das Motto seines Aufrufes. Den Teilnehmenden wurde umfassende Sündenvergebung versprochen. Dafür legten sie ein Gelübde ab und zogen ein Pilgergewand an, das mit dem Kreuzeszeichen versehen war. Pilgerstab und Schwert wurden ebenfalls mit dem Kreuz bezeichnet (cruce signati). Daher stammt der Begriff der „Kreuzritter“.
Ritter aus Frankreich und der Normandie folgten dem Aufruf des Papstes – vor allem aus dem niederen Adel. Da die jüngeren Geschwister bei der Erbfolge leer ausgingen, gab es viele „arbeitslose“ Ritter, die in ständige Fehden und kleinen Gebietsstreitigkeiten verwickelt waren. Die Pilgerfahrt gab ihnen eine Aufgabe und Hoffnung auf eigenes Land im Osten. Insbesondere bei den weiteren Kreuzzügen schlossen sich dem Tross Menschen aus der verarmten Landbevölkerung an, die auf bessere Lebensumstände hofften sowie Verbrecher, die der Strafverfolgung entgehen oder neue Beute machen wollten.
Im Heiligen Land
Militärisch war nur der erste Kreuzzug (1096-1099) für die Kreuzfahrer ein Erfolg. Er führte u.a. zur (sehr blutigen) Eroberung Jerusalems und zur Entstehung von Kreuzfahrerstaaten. Eigentlich hatten die Ritter dem byzantinischen Kaiser Alexios einen Treueeid geschworen. Jedoch wurde nur die Stadt Nikaia vertragsgemäß den Byzantinern übergeben, in den anderen Territorien errichteten die Kreuzfahrer von Byzanz unabhängige lateinische Herrschaften, was die Spannungen zwischen den Kirchen nicht verringerte. Die Situation in den Kreuzfahrerstaaten blieb bedrängt. Das vermochten ein zweiter (1147-1149) und dritter Kreuzzug (1189-1192) nicht wesentlich zu ändern. Der vierte Kreuzzug (1202-1204) wurde zur Katastrophe: Ein großes Kreuzfahrerheer sollte eigentlich nach Jerusalem ziehen. Wirtschaftliche und politische Interessen des stark in dem Kriegszug engagierten Venedig bewirkten, dass das Heer (gegen den Protest des Papstes) statt dessen Konstantinopel belagerte, eroberte und plünderte. Die Folgen für das innerchristliche Verhältnis von Ost- und Westkirche waren verheerend und eine theologische Einigung unmöglich gemacht.
Konflikt und Begegnung
Die Kreuzzüge haben die Gräben zwischen Orient und Okzident auf verschiedenen Ebenen vertieft. Muslime wurden im Kontext der Kreuzzugspredigten in Europa als Bedrohung gekennzeichnet und deren Gewalttaten gegen die Pilger ausgemalt. Umgekehrt haben die durch das Kreuzfahrerheer verübten Grausamkeiten bei der Eroberung Jerusalems sich in das kollektive Gedächtnis muslimischer Überlieferung eingegraben. Beide Erfahrungen haben sich im 19. und 20. Jahrhundert zur Feindbildpflege reaktivieren lassen. Dabei zeigte die Realität auch viele andere Gesichter. In den lateinischen Kreuzfahrerstaaten gab es nur eine relativ kleine lateinische Oberschicht. Das führte zwangsläufig zu vielfältigen Handelsbeziehungen und anderen sozialen Kontakten zwischen Christen und Muslimen, die jenseits der akuten Kampfhandlungen überwiegend friedlich abliefen. Das tägliche Miteinander in der Praxis zwischen den Religionen war deutlich anders, als es die Polemiken im fernen Europa zeichneten.
Das Ritterideal und seine Wirklichkeit
Zum Erbe der Kreuzzüge gehören die Ritterorden: die Johanniter, die Templer und der Deutsche Orden, die sich nur zum Teil als militärische Organisationen verstanden und stärker auf caritatives Engagement setzten: Krankenpflege wurde vor allem bei den Johannitern zum Kern der Identität. Das Ritterideal ist geprägt von Tugenden wie Tapferkeit, Selbstlosigkeit, Treue und Entsagung für ein höheres Ziel. Auf diese Ideale berufen sich die heutigen Orden. In Wolfram von Eschenbachs Epos „Parzival“ wird dieses Ideal der Rittertugenden stark thematisiert. Was es dort interessanterweise überhaupt nicht gibt: Polemik gegen den Islam. Im Gegenteil, die arabischen Ritter sind geachtete Mitglieder der höfischen Gesellschaft, sofern sie diese persönlichen Tugenden erfüllen (was im Parzival-Epos durchgängig der Fall ist). Die tatsächliche Geschichte der Kreuzzüge ist überwiegend nicht geeignet, diese Ideale zu illustrieren. Machtinteressen, Habgier, Eitelkeiten und jede Menge Gewalt haben nicht zur Verständigung beigetragen, sondern Krieg und Zerstörung, Hass und Zwietracht unter Menschen und Bevölkerungsgruppen gebracht, die kollektive Feindbilder nähren – mit Konsequenzen bis weit in die Gegenwart. Lassen sich die ritterlichen Tugenden von militärischem Macht- und Expansionsstreben glaubwürdig trennen? Diese Frage hat Auswirkungen auf die Beurteilung heutiger Ritterorden und ihrer Aktivitäten.
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