Liebe in der Wahrheit
Mit dem symbolträchtigen Termin der Veröffentlichung von „Caritas in Veritate“ am Vorabend des G8-Gipfels erinnert der Papst daran, dass eine soziale Marktwirtschaft und eine gerechte internationale Ordnung nicht schon aus den Antagonismen und Interessen der Beteiligten und Betroffenen erwachsen, sondern aus den Entscheidungen moralisch denkender und handelnder Subjekte hervorgehen.
Benedikt XVI. verknüpft in seiner dritten Enzyklika die Orientierung an der Entwicklung der einen Menschheitsfamilie und der göttlichen Berufung jedes Menschen, in Freiheit seiner Bestimmung zur Liebe und Wahrheit entsprechend zu leben. Die Einsicht, dass Wirtschaft Ethik braucht, ist als solche nicht neu. Strittig ist aber zwischen Marktökonomen und Kirchenvertretern, ob die einer funktionierenden Marktwirtschaft strukturell inhärierenden ethischen Standards ausreichen oder ob es der Orientierung an einem externen Ethos bedarf. Wenn Benedikt XVI. die Liebe als sozialethisches Prinzip nicht nur im persönlichen Nahbereich, sondern auch in den „Makro-Beziehungen“ (2) konstatiert und ökonomisches als moralisches Handeln freier Personen qualifiziert, optiert er für die zweite Alternative. Ohne ein Ethos, das die „Gerechtigkeit“ und das „Gemeinwohl“ als den institutionellen oder politischen Weg der Nächstenliebe (7) begreift, drohen die sozialen Beziehungen nur noch von Interessen und der Logik der Macht (5) beherrscht zu werden.
Die Verbindung der Liebe mit der „Wahrheit“ dient dabei sowohl der Anknüpfung im Sinne der Logos-Philosophie Benedikts, wie sie in der Regensburger Rede öffentlichkeitswirksam vorgetragen wurde, als auch dem Anspruch eines sozialen Lehramts der katholischen Kirche. Die Anknüpfung erfolgt über den Gedanken, dass Liebe mehr ist als diffuse „Sentimentalität“ und jeder Mensch den inneren Impuls spüre, „wahrhaft zu lieben“ (1). Für den ontologischen Gehalt der Liebe steht die „metaphysische Interpretation des humanum“ (55), die durch das kirchliche Zeugnis von der christlichen Offenbarung ihre Festigkeit empfängt. Das Programm „Dienst der Liebe, aber in der Wahrheit“ (5) umreißt präzis das Selbstverständnis der katholischen Soziallehre: Sie geht nicht von einer bloß subjektiven Liebesgesinnung aus, die entweder inhaltslose Emotion bleibt oder ihre universelle Weite verliert (3), sondern verkündet Prinzipien einer Ordnung, die an der „Gesamtheit der Person in all ihren Dimensionen“ (11) orientiert ist und darum auch die Öffnung auf Transzendenz und Gott (4. 42. 74) einschließt.
Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der leiblich verfassten „Natur“ der menschlichen Person im Blick auf Sexualethik oder Bioethik zukommt, wird zwischen dem römischen Lehramt und anderen Ethikern nach wie vor kontrovers diskutiert. Plakative Formulierungen wie diese, dass die Bioethik fragen lasse, ob der Mensch sich selbst hervorgebracht hat oder ob er von Gott abhängt, und damit vor die Alternative zweier Rationalitäten führe, einer auf Transzendenz hin offenen oder einer sich verschließenden Vernunft (74), dürften indes weder der Einstellung seriöser Forscher noch den konkreten Konfliktsituationen gerecht werden.
Viele Forderungen der katholischen Soziallehre, die der Papst im Rahmen einer Theorie „Liebe in der Wahrheit“ neu bekräftigt, finden allgemeine Zustimmung: Strukturreformen reichen allein nicht aus, es bedarf der freien und solidarischen Verantwortung von Personen (11). Ein Wirtschaftsunternehmen ist nicht nur eine Kapitalgesellschaft, sondern ein Verbund von Personen (40). Wirtschaftliches Handeln ist zuerst ein moralischer Akt der Person (41), sei es als Unternehmer, als Arbeitnehmer oder als Konsument (66). Entwicklungspolitik darf die Identität der Empfänger nicht durch ein technokratisch verkürztes Verständnis des Menschen gefährden. Vielmehr gibt es „keine vollständige Entwicklung und kein universales Gemeinwohl ohne das geistliche und moralische Wohl der in ihrer Gesamtheit von Seele und Leib gesehenen Personen“ (76).