Kabbalah gegen Mietschulden?
Wer arbeitslos ist, kann in Deutschland dennoch wenigstens etwas Geld bekommen, wenn er der Arbeitsagentur zur Jobvermittlung zur Verfügung steht. Für die Ablehnung solcher von der Arbeitsagentur vermittelten Arbeitsangebote gelten strenge Regeln, sonst verliert man seinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Dies erzeugt durchaus beabsichtigt einen nicht unerheblichen Druck auf die Arbeitssuchenden, in der Annahme von Tätigkeiten nicht zu kleinlich nach persönlicher Neigung zu urteilen, sondern auch die eine oder andere Kröte zu schlucken, um nicht der Solidargemeinschaft zu lange auf der Tasche zu liegen. Zum Problem kann dieses Verfahren aber dann werden, wenn sich plötzlich herausstellt, dass der neue Arbeitgeber eine höchst eigenwillige religiöse Prägung aufweist und die von der Arbeitsagentur organisierten und zum Teil auch finanzierten Umschulungsmaßnahmen zu religiösen Werbekampagnen umfunktioniert, denen sich die Teilnehmer durch die genannte Zwangslage nicht einfach entziehen können.
Solches geschah Ende November in Leipzig. Die Arbeitsagentur vermittelte ca. 40 Arbeitssuchende an eine Immobilienberatungsfirma, die für ein neues Geschäftsmodell im großen Stil neue Mitarbeiter einstellen wollte. Nach erstaunlich nichtssagenden Vorstellungsgesprächen wurden alle Bewerber zu einer zweitägigen Schulung in ein Hotel eingeladen. Hauptreferent der beiden Seminartage war der Leiter des Kabbalah-Centers in Hannover. Es ging um das Licht, das Licht Gottes und das innere Licht, das über alle Probleme hinweghelfen soll. Es wurde über hebräische Buchstaben meditiert und eine „Proaktive Formel“ memoriert. Es war eine Art Selbsterfahrungskursus oder Mentalitätstraining auf esoterisch-kabbalistischer Basis. Nur von der künftigen Arbeit war kaum etwas zu erfahren. Allenfalls so viel, dass die Anwesenden mit dem frisch erworbenen und hoffentlich verinnerlichten kabbalistischen Wissen an Wohnungsunternehmen ausgeliehen werden sollten, denen sie helfen sollen, Mietschuldner durch kabbalistische Lebensberatung zu einer Begleichung ihrer Außenstände zu befähigen. Insgesamt wirkte das Geschäftsmodell reichlich unausgegoren. Das erklärt vielleicht auch, dass ohne nähere Prüfung allen eine Anstellung zugesagt wurde.
Einige Teilnehmer dieser Schulungen bewiesen genügend Hartnäckigkeit, sich bis zu Sektenberatungsstellen durchzutelefonieren, um auf diese Vorgänge aufmerksam zu machen. Die Arbeitsagentur reagierte glücklicherweise schnell und teilte den Arbeitsvermittlern mit, dass bei einer Ablehnung dieser Arbeitsvermittlung keine Nachteile für die Arbeitssuchenden entstehen sollen. Ob in jedem Fall die Arbeitsvermittler dies den Betroffenen auch mitgeteilt haben, ließ sich nicht ermitteln. Somit kann es dennoch sein, dass manche Teilnehmer weiter in der Zwangslage leben, dass sie meinen, eine Arbeit annehmen zu müssen, welche sie religiös vergewaltigt.
Diese Situation zeigt ein ernsthaftes Dilemma. Die Arbeitsagentur kann nicht alle eingehenden Vermittlungsangebote eingehend auf etwaige religiöse Komponenten prüfen, erst recht nicht, wenn sie sich wie in diesem Fall als spezielle Geschäftsidee einer tatsächlich existierenden Immobilienberatungsfirma darstellen. Der Schwarze Peter bleibt also bei den Arbeitssuchenden. Diese brauchen Aufmerksamkeit dafür, wann eine seriöse Umschulung endet und die Zwangslage der Arbeitslosen zu unlauterer Missionierung ausgenutzt werden soll. Die Arbeitsagenturen brauchen ein offenes Ohr für solche Konfliktfälle und müssen mit der Möglichkeit des Missbrauchs ihrer Vermittlungsangebote rechnen.
Harald Lamprecht