Nur ein Stück Stoff

Aktuelle Debatten um das Islamische Kopftuch in Europa

Streit in Österreich

Die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGÖ) ist eine anerkannte Religionsgemeinschaft in Österreich. Am 16. Februar veröffentlichte sie ein theologisches Gutachten unter dem Titel „Stellung der Verhüllung im Islam“. Dieses löste in der Öffentlichkeit heftige Diskussionen aus, weil es das islamische Kopftuch als verpflichtendes Gebot beschreibt. 

Regierungsmitglieder beider Koalitionsparteien äußerten sich empört: „Eine solche Positionierung ist ein Angriff auf die Freiheit und Selbstbestimmung der Frauen“, so die muslimische Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ), gegenüber der Zeitung „Österreich“.1

IGGÖ Präsident Ibrahim Olgun beteuerte den religiösen Charakter des Rechtsurteils (Fatwa). Gegenüber der Zeitschrift „Die Presse“ relativierte er, dass die Glaubensgemeinschaft Menschen nicht verpflichten wollte, ein Kopftuch zu tragen, deswegen sei der ursprüngliche Titel „Kopftuch-Gebot“ auch in den jetzigen umgeändert worden.2 „Der Beratungsrat [hält] fest, dass Frauen und Männer, die sich nicht an die religiösen Kleidungsgebote halten, keinesfalls von anderen abgewertet werden dürfen.“3

In der Stellungnahme selbst allerdings steht geschrieben: 

„Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten Füßen, ein religiöses Gebot (farḍ) und damit Teil der Glaubenspraxis. (…) Bereits die Generation der Prophetengefährten und die Gelehrtengenerationen danach, sowohl Männer als auch Frauen, waren sich über die Kopfbedeckung der Frau als islamisches Gebot (farḍ) einig.“

Kritik an dem Gutachten kommt auch aus den eigenen Reihen. Die Frauenbeauftragte der IGGÖ Carla-Amina Baghajati kritisierte, dass die Stellungnahme den Diskurs um das Kopftuch nur unnötig erneut ankurbelt. Das Kopftuch sei kein Symbol für „Religiosität“, „Sittsamkeit der Frau“, oder „Unterdrückung“. Auch sei das Kopftuch keine „Säule im Islam“. Das Tragen habe im Islam „nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin.“4

Prof. Ednan Aslan, Professor für islamisch-theologische Studien an der Universität Wien, empfindet es als problematisch, welche Koranverse in der Stellungnahme zitiert wurden: In dem Fatwa wird „auf gegenwartsorientierte Selbstdeutungen des Korans verzichtet und auf die Deutungen aus dem 8. und 9. Jahrhundert zurückgegriffen. (…) Wenn man die Meinungen solcher Gelehrten aus einem Kontext herausnimmt und unüberlegt in die Gegenwart überträgt, legitimieren wir die Gewalt und Unterdrückung der Selbstbestimmung der Menschen. (...) Dabei nimmt die IGGiÖ überhaupt keinen Bezug darauf, welche Folgen diese Pflicht für die Gesellschaft und die Frau selbst haben könnte.“5

Europäischer Gerichtshof: Kopftuchverbote können zulässig sein…

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte am 14. März, dass das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz unter bestimmten Bedingungen verboten werden dürfe. Anlass des Urteils waren die Klagen von zwei muslimischen Arbeitnehmerinnen, die in Frankreich ihren Job verloren, weil sie am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch trugen. Beide klagten sie, weil sie sich diskriminiert fühlten. Allerdings sind ihre Fälle vor Gericht unterschiedlich gewürdigt worden.

Im ersten Fall hatte, Samira A., Rezeptionistin eines belgischen Unternehmens, geklagt. Sie wollte ihr Kopftuch entgegen der internen Arbeitsordnung nicht mehr nur in ihrer Freizeit, sondern auch am Arbeitsplatz tragen.

Der EuGH urteilte hier zugunsten des angeklagten Unternehmens und stellte fest, „dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung (...) darstellt.“6 Allerdings muss es für dieses Verbot eine allgemeine neutrale und diskriminierungsfreie Regelung geben. Eine Rechtfertigung im Einzelfall könnte also durchaus notwendig sein.7

Eine „mittelbare Diskriminierung“ also „eine Regelung, die Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung besonders benachteiligt“ könnte gerechtfertigt sein, um die Neutralität des Unternehmens gegenüber dem Kunden zu sichern. „Relevant sei auch, ob die Regelung nur Angestellte mit Kundenkontakt betrifft.“8

…aber nicht immer

Im zweiten Fall wurde Asma B., Software-Designerin bei einem französischen Unternehmen, entlassen. Ein Kunde hatte sich darüber beklagt, dass die Frau im Kundengespräch mit Kopftuch arbeitete. Der Forderung des Unternehmens, dieses nicht mehr zu tragen, kam B. nicht nach. Sie bestand im Gespräch mit ihrem Arbeitgeber darauf, dieses Kleidungsstück zu tragen. Das Gericht entschied in diesem Fall zugunsten der Klägerin und kam zu dem Urteil, „dass der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, die Leistungen dieses Arbeitgebers nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung (...) angesehen werden kann.“9

Die Anwältin Doris-Maria Schuster, die bereits mehrere Kopftuch-Verfahren betreut hatte, begrüßte die Entscheidungen: „Das Urteil schafft Klarheit auch für den Umgang mit Kopftüchern in Deutschland“ es ist aber kein „Persilschein zur Einführung von Kopftuchverboten“.

Kritik kam von der Antidiskriminierungs-Beauftragten des Bundes, Christine Lüders. Sie sieht den Zugang zum Arbeitsmarkt dadurch noch mehr erschwert: „Die Arbeitgeber in Deutschland sollten sich in Zukunft gut überlegen, ob sie sich durch Kopftuchverbote in ihrer Personalauswahl einschränken wollen.“10

 


1 FAZ, Kritik an Kopftuchgebot in Österreich v. 07.03.2017.

2 Kocina, Erich: Eine Kopftuch-Empfehlung, die keine sein sollte, Die Presse v. 06.03.2017

3 Stellung der Verhüllung im Islam v. 16.02.2017, in: http://www.derislam.at

4 Kocina, Erich: Islam – interner Konflikt um Kopftuchgebot, Die Presse v. 07.03.2017

5 Aslan, Ednan: Stellungnahme zur Fatwa des IGGiÖ-Mufti über die Verhüllung im Islam v. 06.03.2017

6 EuGH, Urt. v. 14. 3. 2017, Rs. C-157/15 Sl. March 2017, Rd. 45, in: http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-157/15&language=EN

7 http://www.welt.de/politik/deutschland/article162825995

8 https://www.tagesschau.de/ausland/kopftuch-urteil-101.html

9 EuGH, Urt. v. 14. 3. 2017, Rs. C-188/15, Sl. March 2017, Rd. 42, in: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=188853&doclang=de

10 http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/eugh-kopftuch-verbot-arbeitsplatz-urteil

Urteil
Gericht
Entscheidungsdatum
Aktenzeichen
Rs. C-188/15
Leitsatz
Das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz darf unter bestimmten Bedingungen verboten werden.
Christine Milkau

war 2017 Praktikantin in der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens.

Neuen Kommentar hinzufügen

Mit der Abgabe eines Kommentars werden die Regeln für Kommentare akzeptiert. Kurzfassung:

  • Der Kommentar bezieht sich auf den Artikel.
  • Er lässt erkennen, dass der Artikel gelesen wurde und setzt sich inhaltlich mit ihm auseinander.
  • Der Stil ist höflich und respektvoll.
  • Das Bemühen um Wahrhaftigkeit ist erkennbar.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/1024