Wesen und Wirken des Heiligen Geistes

Bericht von der 1. Begegnungstagung des EB Sachsen mit Leitern freier Gemeinden (2004)
Überwältigende Erfahrungen des Heiligen Geistes gehören zum besonderen Profil pfingstlich-charismatischer Gemeinden - in Sachsen wie überall auf der Welt. Jede noch so ergreifende Geisteserfahrung bleibt allerdings immer eine Aussage des Glaubens. Auch spektakuläres Erleben ist vieldeutig. Schon im Neuen Testament wurden die Jünger beim Pfingstwunder als betrunken angesehen, und selbst Jesus wurde der Vorwurf gemacht, er würde bei seinen Heilungen die Geister mit dem Satan austreiben. Auch heute noch sind ähnliche Phänomene wie das ohnmächtige Umsinken beim „Ruhen im Geist“ mitunter bei Rockkonzerten zu beobachten, wenn die Jugendlichem ihrem Idol begegnen. Auch beglückende Erfahrungen sind nicht zweifelsfreie Hinweise auf ein Wirken des Geistes, sondern bedürfen der Interpretation. Nirgends wird der Glaube überflüssig.

Dies sind Einsichten mit denen PD Dr. Peter Zimmerling (Mannheim) auf einer Tagung des Evangelischen Bundes zur Diskussion anregte. In den letzten Jahrzehnten sind auch in Sachsen etliche freie Gemeinden mit einer charismatischen Prägung entstanden. Deren Verhältnis zur Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens reicht von regionaler Zusammenarbeit bis zu deutlicher Abgrenzung. Auf beiden Seiten gibt es Verletzungen und Spannungen im Miteinander. Um auszuloten, wo und wie eine Verbesserung der Situation möglich sein könnte, hatte der Evangelische Bund Sachsen zu einer Begegnungstagung von Pfarrern der Landeskirche mit Leitern freier Gemeinden in Sachsen vom 5.-7. 10. 2004 nach Meißen eingeladen. Das Ziel und Anliegen dieser Tagung war es, Raum für persönliche Begegnung und Gespräch zu schaffen, um ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Dabei ging es weder darum, Differenzen zu verschweigen, noch gegenseitige Vorwürfe zu erheben. Vielmehr sollte der Versuch gewagt werden, im gemeinsamen Gespräch, im Hören auf Gottes Wort und im Durchdenken der Aussagen gemeinsamer theologischer Grundlagentexte neue Perspektiven für die Arbeit sichtbar werden zu lassen.

Bilanz: sehr positiv

Die Hoffnungen, die sich mit dieser Tagung verbunden hatten, wurden weitgehend erfüllt. Jeweils acht Vertreter der freien Gemeinden (aus Bautzen, Dresden, Großenhain, Leipzig, Meißen und Reichenbach) sowie acht Pfarrer und Mitarbeiter des Evangelischen Bundes aus verschiedenen Regionen der Landeskirche kamen miteinander in ein sachliches und konstruktives Gespräch, aus dem beide Seiten nachdenkenswerte Impulse mitnehmen konnten. In fünf Themenkreisen ging es darum, miteinander auszuloten, wo wir wirklich stehen, was echte und was nur vermeintliche Differenzen sind, wo wir einander näher kommen können und wo wir eine bleibende Verschiedenheit aushalten müssen. Dabei hat die konzentrierte theologische Arbeit unter der sehr guten fachlichen Begleitung von Dr. Zimmerling wesentlich zu der erfolgreichen Bilanz beigetragen. Im Ansatz ging es nicht darum, einfach nur lutherische Kirche mit charismatischen Gemeinden zu vergleichen, sondern beide in Beziehung zu Texten und Aussagen der gemeinsamen Tradition zu bringen. Diskutiert und jeweils durch ein Referat von Dr. Zimmerling eingeleitet wurden das Geistverständnis im Nicaenum und in Luthers kleinem Katechismus, Mission und Evangelisation als „Herzschlag der Kirche“, Anstöße von der Betreuungs- zur Beteiligungskirche sowie die Aussagen zum Heiligen Geist in Röm. 5.

Natürlich sind - trotz positiver Bilanz - im Ergebnis einer solchen Tagung keine Probleme grundlegend gelöst, sondern manche nur klarer erkannt. Das Treffen war also nicht mehr - aber auch nicht weniger - als ein wichtiger Anfang in einem möglicherweise längeren Prozess.

Es ist nicht leicht, aus den vielschichtigen Vorträgen und Diskussionen einzelne Punkte für eine Berichterstattung herauszugreifen, denn die Verabschiedung von gemeinsamen Stellungnahmen zu einzelnen Fragen oder ein Schlussdokument bzw. Kommuniqué war nicht Ziel dieser Tagung. Weniger die Außenwirkung als die persönliche Begegnung und eigene theologische Urteilsbildung standen im Mittelpunkt der Zusammenkunft. Die folgenden Anmerkungen sind darum nur fragmentarisch und als Schlaglichter auf einen breiteren Diskussionsgang zu verstehen.

Der Heilige Geist in der Trinität

Im Blick auf die Glaubensaussagen zum Heiligen Geist im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel wurde über die Verbindung des Heiligen Geistes mit dem Vater und dem Sohn im Rahmen der göttlichen Trinität diskutiert. Diese theologischen Bestimmungen haben durchaus praktische Konsequenzen. Während die volkskirchliche Glaubenspraxis stärker vom Vater bestimmt ist und die Schöpfung in den Mittelpunkt stellt (Erntedank, Weihnachten, Kasualien), neigt die akademische Theologie eher dazu, das Wirken des Geistes im Wirken Jesu Christi aufgehen zu lassen. Anliegen der pfingstlich-charismatischen Theologie ist es, ein eigenständiges, unterscheidbares Wirken des Geistes wahrzunehmen. Der Heilige Geist, „der Herr ist und lebendig macht“ soll als eigene Person der Trinität wahr- und ernstgenommen werden. Dabei bleibt der Geist aber mit dem Vater verbunden, was ihn in der ganzen Schöpfung erfahrbar werden lässt (in der Natur, aber auch in emotionalen Erlebnissen). Ebenso bleibt eine Verbindung mit dem Sohn, denn die Geistausgießung zu Pfingsten ist eine Folge der Auferstehung Jesu. Die Geistestaufe ist demzufolge keine Überbietung des Handelns Jesu im Sinne eines 2-Stufen-Christentums, sondern das Erlösungshandeln brachte eine „Demokratisierung des Geistes“. Die Gabe des Heiligen Geistes ist nun nicht mehr nur ausgewählten Personen (Priester, Könige, Propheten) zugänglich. Das Geistwirken hat einen sozialen und einen individuellen Aspekt. Leider gibt es häufig eine Verengung auf die subjektiven Erfahrungen, was zu häufigen Spaltungen der Gruppen führt. Dabei beinhaltet das Pfingstwunder eigentlich eine universale Verständigung, die auch zu gemeinsamen Leben führt und damit sozusagen das Gegenteil von Spaltung bildet.

Luther und der Heilige Geist

In Bezug auf Luthers Ausführungen zum Heiligen Geist im kleinen Katechismus wurde der große Perspektivenreichtum seiner Theologie deutlich, den die nachfolgende lutherische Theologie nicht in dieser Breite aufgenommen hat. Seit den Auseinandersetzungen mit den Schwärmern in der Reformationszeit gibt es innerhalb der lutherischen Theologie eine große Skepsis gegenüber besonderen und spektakulären Geisterfahrungen. Ansätze bei Luther, die zeigen, dass er persönlich durchaus mit spektakulären Wirkungen des Geistes (z.B. Krankenheilungen, prophetischen Worten) gerechnet hat, wurden in der nachfolgenden Kirche in den Hintergrund gedrängt. Dabei lassen sich auch überwältigende Erfahrungen des Geistes in Luthers Theologie integrieren. Das reformatorische Geistverständnis bietet durchaus Raum für immer neue Erfahrungen im Lauf eines Christenlebens und fordert sie sogar. Allerdings ist wichtig, dass daraus kein Stufenmodell von einfachen und besseren Christen entwickelt wird. Zwei charakteristische Akzente unterscheiden Luthers Geistlehre von der verbreiteten charismatischen Pneumatologie:

  • Sie ist auf Christus zentriert:
    Wichtigstes Werk des Geistes ist, zu Christus hinzuführen und bei ihm zu halten.
     
  • Die Kreuzestheologie bildet den Bezugsrahmen: Wachstum im Glauben geht nur über zunehmendes Eingeständnis der Sünde. Gott verbirgt sich unter seinem Gegenteil. Eine erfahrene Heilung ist eine, aber nicht die deutlichste Wirkung des Geistes. Die größte Gewissheit des Geistes kann man dort spüren, wo es nicht so geht, wie man es sich wünscht. Mitten in der dunklen Nacht zu erleben, dass Gott dennoch hält, ist die Nagelprobe des Geisteswirkens.

Besonders der zweite Aspekt wird in manchen lutherischen Gemeinden gelegentlich verklärt: „Hauptsache ich habe Anfechtung und Leid, dann ist Gott auf meiner Seite...“ Dadurch hat sich die (an sich richtige) Erkenntnis, dass Gottesnähe auch im Leiden erfahren werden kann, übertrieben ausgewirkt, so dass das Gebet um Heilung selten geworden ist. Dies ist gewiss ein Defizit. Ein mehrfach erhobener Vorwurf an die lutherische Seite war dann auch, immer nur auf die Extreme und die Gefahren zu achten, und darüber die vielen guten und hilfreichen Seiten zu übergehen. Wo aber nichts vorkommt, gibt es auch keine Extreme. Auf der anderen Seite steht der oftmals platte Wunderglaube im Stil von „Bete und es wird passieren, sonst hast du nicht genug geglaubt“ - mit seelsorgerlich fatalen Folgen. Jesus hat am Kreuz kein Wunder vollbracht. Das weist darauf hin, dass der theologische Kern seines Wirkens nicht sein Wunderhandeln, sondern seine Messianität ist. Gleichwohl gilt es, darum nun nicht die Wunder komplett auszublenden.

Mission und Evangelisation

Nach der EKD-Synode zum Thema „Mission“ wurde in mehreren (aber doch nur wenigen) Landeskirchen die Mission zur „Chefsache“ ernannt. Dennoch haftet landeskirchlichen Gemeinden der Ruf an, im Vergleich zu freien Pfingstgemeinden missionarisch inaktiv zu sein. Was können wir hier voneinander lernen? Vor allem drei verschiedene Konzepte sind in der Praxis bestimend:

a) Der gabenorientierte Gemeindeaufbau wurde und wird vor allem von den innerkirchlichen charismatischen Gruppen (GGE, CE) vertreten und versteht die Gnadengaben nicht primär als Machtgaben (persönlicher Ausweis der Geisterfülltheit), sondern von ihrer Funktion für die Gemeinde als Dienstgaben. Die daraus abgeleitete Aufgabe lautet, die mögliche Vielfalt der Gaben in der Gemeinde (und darüber hinaus) zu entdecken und zu fördern. Ein Defizit der reformatorischen Kirchen besteht vielerorts darin, das allgemeine Priestertum nur theoretisch, aber nicht gleichermaßen praktisch wiederbelebt zu haben.

b) Die „vollmächtige Evangelisation“ ist besonders vom Gründer der Vineyard-Bewegung, John Wimber praktiziert worden und will Menschen durch den Eindruck übernatürlichen Geisteswirkens in Zeichen und Wundern zur Bekehrung führen. Heilungen und Dämonenaustreibungen sind das wichtigste Mittel der Evangelisation. Dabei ist das Konzept vorwiegend evangelistisch und weniger ekklesiologisch orientiert. Eine Einbindung in eine Gemeinde ergebe sich nach der Bekehrung quasi automatisch. Das Konzept wendet sich gegen ein rationalistisch verengtes Wirklichkeitsverständnis, das die Wahrnehmung auf den wissenschaftlich erfassbaren Bereich beschränkt und nimmt die biblischen Berichte ernst, die von ebensolchen Zeichen und Wundern berichten. Wenn diese Texte zu sehr von der (mitunter trüben) volkskirchlichen Wirklichkeitserfahrung gelesen und beschnitten werden, ist dies ein Verlust, denn die Kreuzestheologie bedarf auch dieser Ergänzung. Andererseits muss auch gesehen werden, dass das Konzept der vollmächtigen Evangelisation die Schwerpunkte verschiebt: im Zentrum steht nicht mehr der Glaube an den dreieinige Gott, sondern die „spiritual Power“, über die der Gläubige Verfügungsgewalt bekommen soll.

c) Gemeindeaufbau durch Gemeindeneugründungen wird seit den 80er Jahren verstärkt auch in Deutschland praktiziert und bestimmt die Theologie fast aller neuen Pfingstgemeinden. Dieses Konzept ist eher geografisch orientiert und fragt (im Idealfall) nach bisher unterversorgten Ortsteilen oder Zielgruppen. Mit diesem Konzept verbinden sich viele Spannungen, da es als amerikanischer Import schlecht auf die deutsche volkskirchliche Situation angepasst ist und Abspaltungsprozesse sowie Transferwachstum für Verletzungen sorgen. Im Blick auf die Inkulturation des Evangeliums in veränderte gesellschaftliche Situationen gelingt es den Neugründungen meist besser, sich in die Gemütslage der Gesellschaft zu integrieren. Dazu gehört, dass mehr Erlebniselemente in die Gottesdienste und mehr Gemeinschaftserlebnisse im Gemeindeleben verankert werden. Dennoch erreichen auch diese Gruppen faktisch nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, denn die individuelle Freiheit ist derzeit ein so hohes Ideal, dass viele sie für keine Gemeinschaft dieser Welt einschränken wollen - nicht für die Ehe und auch nicht für eine Gemeinde. Problematisch an den Gemeindeneugründungen ist darüber hinaus die wachsende Zersplitterung des Leibes Christi. Aus einem oft unterentwickelten Sinn für die Einheit der Kirche, aus einem kongregationalistischen Verständnis von der Autonomie der Einzelgemeinde und dem Drang nach Befreiung von Einflüssen traditioneller Kirchlichkeit unter dem Eindruck unmittelbarer Geisterfahrung resultiert, dass die Gemeindegründungen praktisch oft Kirchengründungen werden.

Von Seiten der charismatischen Gemeinden wurde eingewendet, dass Einheit nicht ausschließlich an Institutionen festzumachen ist. In der Einheit des Geistes findet sich die unsichtbare Kirche zusammen. Eine Vielfalt äußerer Institutionen sei kein Problem, solange sie sich nicht in der Öffentlichkeit gegenseitig bekämpfen. In Bezug auf das Transferwachstum wurde angeregt, dass die Pastoren nicht die Schafe beschimpfen sollten, weil sie die Weide wechseln, sondern lieber dafür sorgen, dass auf der eigenen Weide genug Futter ist.

Von der Betreuungs- zur Beteiligungskirche

Hinter dieser Gegenüberstellung stehen genau genommen die zwei Sichtweisen des Christentums:

  • als Entscheidungschristentum oder
  • als volkskirchlich gedachtes Christsein „durch Geburt“ und religiös-soziales Umfeld.

Darauf wies Dr. Zimmerling in seinem einführenden Referat zu diesem Gesprächspunkt hin. Die Vielfalt der Charismen ist im Luthertum weithin auf das Charisma der Wortverkündigung im Predigtamt zentriert, das zudem auch noch mit dem Pfarramt zusammengefallen ist. Aus den sehr unterschiedlichen Auflistungen von Gnadengaben in 1. Kor 12, 1. Kor 13, Röm. 12, Mk 16 und 1. Petr. 4,10ff. wird deutlich, dass dies keine vollständigen Auflistungen aller möglichen Gnadengaben sind. Sie zeigen Beispiele davon, wie in bestimmten Situationen bestimmte Gaben entdeckt wurden, die die Lage erforderte. Nicht in jeder Gemeinde muss es alle diese Gaben geben. Dabei sind die spektakulären Gaben nicht die wichtigsten. Eine Gemeinde kann auch ohne Zungenrede überleben, aber nicht, wenn niemand da ist, der mit Geld umgehen kann.

Zur Gabe, gesund zu machen, gehören neben der ärztlichen Kunst und der vergleichsweise seltenen spektakulären Heilungsgabe auch die Gabe des Umgangs mit Kranken, zu der auch die „Amtsgabe“ der Krankenheilung aus Jak. 5 gezählt werden kann. In Bezug auf die Zungenrede ist deutlich, dass Paulus sie relativierte, um sie für den Gemeindeaufbau fruchtbar werden zu lassen. Prophezeihungen beinhalten nicht nur Zukunftsvisionen, sondern vor allem Stärkung, Ermahnung und aktuelle Deutung des Willens Gottes aus der Schrift. Ihre Problematik liegt in der immer wieder zu beobachtenden Schwierigkeit, falsche Prophetie abzuwehren.

Aus den exegetischen Einsichten ergeben sich wichtige Konsequenzen: Charismen im biblischen Sinn sind nicht in erster Linie die außergewöhnlichen Begabungen, sondern die vielseitigen menschlichen Begabungen, die vom Geist in den Dienst genommen werden. Insofern ist jeder in unterschiedlicher Weise begabt. Im paulinischen Modell der gabenorientierten Gemeinde führt Pluralität zur Gemeinschaft.

Während der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass üblicherweise Gaben nur von jemandem entdeckt werden, der selbst darüber verfügt. Ein Freak zieht andere Freaks an, ein Liturg andere Liturgen. Darum ist die Zusammenarbeit im Team eher zukunftsweisend. Die Betreuungskirche sollte als Konzept nicht vorschnell abgeschrieben werden, denn sie ist keine Alternative, sondern wichtige Ergänzung. Viele Menschen wollen nicht mehr Engagement in ihrer Gemeinde aufbringen. Allerdings macht die Vorstellung von einer Versorgungsgemeinde die Gemeindeglieder schnell zu Kunden, die den billigsten Preis suchen, d.h. die billige Gnade (ohne Nachfolge) haben wollen. Andererseits geht Entschiedenheit in der Nachfolge leider oft mit geistlicher Arroganz einher.

Paulus und der Heilige Geist

In der Bibelarbeit zu Röm. 8 wurde deutlich, dass Paulus hier ohne selbst eine theologisch reflektierte Trinitätslehre zu entwickeln sehr stark trinitarisch argumentiert. Das Wesen des Vaters, die Liebe, ist in Christus anschaulich geworden. Auch der Geist gewinnt erst in der trinitarischen Beziehung sein Gesicht und wohnt mit Christus in den Gläubigen. Das Leben in der Gemeinschaft mit Gott ist jenseits eines christlichen Thriumphalismus. Paulus rechnet damit, dass auch die im Geist lebenden mit Problemen und Leid konfrontiert werden. Dies ist nicht nur mittelalterliche Demutstheologie, sondern auch Ausdruck der Nachfolge Christi. Paulus öffnet den Blick für die Mitwelt: ein Heilsindividualismus ist ebenso unmöglich wie ein Glaube ohne Welt. Auch die Kreatur wartet auf Erlösung. Der Geist ist dabei Angeld der Hoffnung, er ermöglicht eine Vorwegerfahrung der Herrlichkeit Gottes. Insofern gibt er sowohl schon jetzt eine Ahnung künftiger Herrlichkeit, als auch den Hinweis auf etwas größeres, noch Ausstehendes. In der Auslegung zu Röm. 8, 26f. (Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf) hat Luther darauf hingewiesen, dass das Gebet des Geistes mitunter ganz andere Inhalte vertreten kann, als das verstandesmäßige Denken und Wünschen, weil auch der Christ nicht immer weiß, was zu Gottes Ehre und seinem eigenen Heil wirklich gut ist. Wenn also von den eigenen Bitten fast nichts erfüllt wird, muss dies kein schlechtes Zeichen sein, sondern kann erst recht empfänglich machen für anders geartete Gottesgaben. Gott will uns geben, was zu unserem Heil dient, aber nicht immer direkt, damit sich nicht unser altes Ego in frommer Verkleidung auf den Thron setzt.

Amt und Sakrament

In vielen Bereichen konnte im Rahmen der Diskussionen ein wachsendes Verständnis für die Motive und Begründungen der jeweils anderen Posititionen gewonnen werden. Als besonders trennende Punkte, zu denen dringend weiterer Klärungsbedarf besteht, kamen immer wieder das Amts- und vor allem das Sakramentsverständnis zur Sprache.

Von einzelnen Gemeindeleitern wurde die Klage erhoben, dass das Amt, das sie in ihrer Gemeinde ausüben, von kirchlicher Seite nicht anerkannt wird. In einem anderen Gesprächsgang wurde es wiederum als ein Problem angesehen, dass auch die freien Gemeinden faktisch die Pfarrerzentrierung der Landeskirche vielfach übernommen haben, ohne dass die Gemeindeleiter zugleich deren institutionellen Schutz genießen. Das führt dazu, dass sie gelegentlich in die manipulative Trickkiste greifen, um ihre Stellung und Autorität abzusichern. Bemerkenswert war die Offenheit, mit der in dieser Runde das Thema des „geistlichen Missbrauchs“ angesprochen werden konnte. Letztlich ist die Pfarrerschaft in der Landeskirche auch nicht ganz frei von diesen Problemen. Es gibt große regionale Unterschiede, sehr mündige Gemeinden mit starken Kirchenvorständen und andere Gemeinden, wo ohne den Pfarrer nichts läuft.

Im Blick auf das Abendmahl wurde festgestellt, dass die äußere Form in vielen freien Gemeinden sehr locker gehandhabt wird, so dass es sein kann, dass in einem Hauskreis aus spontanem Bedürfnis heraus irgendjemand der Mitglieder das Abendmahl ausspendet. Dennoch werde der Inhalt sehr ernst genommen und echte Vergebungsbereitschaft damit verbunden. Der Landeskirche wurde in diesem Zusammenhang vorgeworfen, dass die Berechtigung zur Sakramentsverwaltung allein an der institutionellen Bevollmächtigung und nicht an seinem Lebensstil festmache. An diesem Vorwurf zeigt sich ein tiefgreifend anderes Sakramentsverständnis, das den Bekenntnischarakter über den Aspekt des göttlichen Handelns im Sakrament stellt. Noch deutlicher wird dies in der Tauffrage. So wurde die Taufe im Gespräch als „Proklamation: hier ist jemand Christ geworden, dessen Lebensstil sich ändert und der das nach außen bezeugt“ charakterisiert. Als Problem in der Landeskirche wird oft weniger die Theorie der Kindertaufe, sondern die Praxis der Säuglingstaufe gesehen, wo sie als unterschiedsloses Taufen unabhängig von der geistlichen Motivation der Taufeltern gehandhabt wird. Damit verbunden sind Vorstellungen, die Lehre von der Wiedergeburt in der Taufe käme einem „Freifahrtschein in den Himmel“ gleich, so dass die Leute denken, sie seien gerettet, sind es aber nicht. Vertreter der freien Gemeinden äußerten mehrfach, dass die Tauffrage für sie eigentlich kein kirchentrennendes Thema sei, aber leider von der Landeskirche dazu gemacht werde. Dahinter steht das häufige Missverständnis, freien Gemeinden mit baptistischer Tauftheologie wäre die Taufe wichtiger als der Landeskirche, weil sie mit ihrer Beharrung auf der Gläubigentaufe die Trennung in Kauf nehmen. In Wahrheit ist es aber umgekehrt: in der Landeskirche hat die Taufe als Sakrament und Handeln Gottes ein weitaus größeres Gewicht, das über dem individuellen Bekenntnisakt steht. Insofern ist es außerordentlich beschwerlich, wenn die Taufe in freien Gemeinden vergleichsweise gering geachtet und von einer momentanen Gemütslage abhängig gemacht wird. So wurde offen gesagt, dass gelegentlich mehr aus seelsorgerlichen Gründen als aus theologischen Gründen getauft werde, wenn Menschen nach ihrer persönlichen Umkehr zu deren Besiegelung die (Wieder-)Taufe wünschen. Wenn die Gültigkeit einer empfangenen Taufe aber abgesprochen wird, wird etwas sehr wichtiges abgesprochen, was für die Landeskirche nicht einfach hinnehmbar ist. An der Frage der Taufe soll unbedingt weiter gearbeitet werden. Dabei gilt es, die ökumenischen Verständigungen, die im baptistisch-lutherischen Dialog erreicht worden sind, zu rezipieren und für das Gespräch mit den freien pfingstlich-charismatischen Gemeinden fruchtbar zu machen.

Fazit

Die Begegnungstagung wurde von den Teilnehmern als eine wichtige Bereicherung des eigenen Horizonts empfunden. Auch wenn sich grundlegende Probleme nicht durch ein solches Gespräch lösen lassen, ist doch die Begegnung eine erste Voraussetzung dafür, um die gegenseitigen Befindlichkeiten zu wissen. Hervorzuheben ist die offene und konstruktive Atmosphäre der Gespräche, die auch kritische und selbstkritische Aussagen möglich werden ließ und damit den Ertrag der Diskussionen deutlich steigern konnte. Hilfreich war dabei auch die intensive theologische Arbeit an den gemeinsamen Grundlagen in Bibel und Bekenntnisschriften als Ausgangspunkt für die Gespräche. Eine Fortsetzung ist für den September 2005 geplant.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/134

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2004 ab Seite 12