Zoomkonferenz mit Jesus
Die Personen dieser virtuellen Zoom-Konferenz sind von einer künstlichen Intelligenz erfunden (ThisPersonDoesNotExist.com)

Analog - digital - ökumenisch: Wie wird Gemeindearbeit der Zukunft sein?

Erkenntnisse vom 5. Ökumenischen Pastoralkolleg des Evangelischen Bundes Sachsen

Die Corona-Pandemie hat auch in den Kirchen einen großen Digitalisierungsschub mit sich gebracht. Dabei ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Wo bewähren sich digitale Werkzeuge? Welche gegenüber der analogen Welt veränderten Dynamiken sind zu beachten? Und welche grundsätzlichen theologischen und ethischen Fragen rollen mit der Entwicklung auf die Kirchen zu? Mit diesen Fragen befasste sich das 5. Ökumenische Pastoralkolleg, das vom Evangelischen Bund Sachsen in Kooperation mit dem Pastoralkolleg und dem Ökumenischen Informationszentrum Dresden (ÖIZ) vorbereitet wurde. Eigentlich war es als Rückblick auf die Corona-Zeit gedacht. Aber dann war im März 2021 die Pandemie noch voll im Gange und das Pastoralkolleg fand selbst als rein digitale Veranstaltung statt – passend zum Thema.

Hierarchieabbau und Interaktivität

Die Kirchen müssen realisieren, dass längst wesentliche Teile des alltäglichen Lebens digital stattfinden, betonte Hanno Terbuyken in seinem Beitrag. In der Altersgruppe bis 60 Jahre sind 94% der Menschen online unterwegs. Amazone Prime hat inzwischen mehr Mitglieder in Deutschland als die großen Kirchen. Was verlieren die Kirchen, wenn sie weiter der Entwicklung hinterherhinken? „Digitale Gemeindearbeit“ bedeutet nicht nur, digitale Werkzeuge zu benutzen, einen Facebook-Account zu betreuen oder Gottesdienste zu streamen. Es ändert sich das ganze Gefüge.

So führt z.B. die Technik zu einem Hierarchieabbau. In einer Zoomkonferenz haben leitende Geistliche keinen hervorgehobenen Sitzplatz, wie mit einem Suchbild voller Zoom-Kacheln und der Aufgabe „Finde die Bischöfin!“ anschaulich illustriert wurde.

Dazu kommt eine viel größere Interaktivität. Vielfältige Möglichkeiten zur Beteiligung sind elementarer Bestandteil der neuen Technologien. In dem Maß, wie digitale Zugänge Entfernungen auflösen, spielen auch Parochiegrenzen keine Rolle mehr. Der Streaming-Gottesdienst der eigenen Gemeinde ist nur einen Mausklick von anderen Angeboten entfernt. Es gibt digital auch keine klassische „Kerngemeinde“ mehr. An ihre Stelle treten Netzwerke mit vielfältigen Knotenpunkten.

Kirchliche Angebote im digitalen Raum sollten ganz klar die christliche Kernbotschaft transportieren, und zwar in zwei Dimensionen:

  1. Gott ist für dich da. Dazu gehören alle Formen von Spiritualität, Andachten via Newsletter, Gebete, Gottesdienste etc.
  2. Wir sind für euch da. Gemeinden müssen digital erreichbar sein und ihre Termine auf der Webseite aktuell halten. Jede Gemeinde sollte mindestens ein Element der abrufbaren (aktuelle gepflegte Webseite) und eins der aufsuchenden Kommunikation (z.B. Newsletter) im Angebot haben.

Medienrevolutionen

Die Digitalisierung ist eine Medienrevolution mit sehr weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen. Da ist sie allerdings nicht die erste, wie Prof. Dr. Klaus Fitschen, Kirchengeschichtler an der theologischen Fakultät in Leipzig in einem amüsanten Gang durch die Geschichte herausstellte. Das begann mit der Entwicklung der Sprache vor einigen 100 000 Jahren, die Information und Bildung ermöglichte, nicht mehr nur Nachahmung. Mit der Entwicklung des Bildes entsteht ein erstes Medium, das Emotionalität transportieren kann. Die Entwicklung der Schrift löst die Sprache vom Erzähler und macht sie dauerhaft. Schrift verstärkt soziale Differenzierung – sie zu beherrschen ist Herrschaftswissen. Sie ist der Anfang zur Informationsgesellschaft, die aber Ungleichheit befördert. Information führt nicht nur zu Wissen, sondern es braucht auch Wissen, um Informationen einordnen zu können – ein sehr aktuelles Problem! Mit der Entwicklung der Drucktechnik vervielfacht sich der Ausstoß an Textproduktionen. Hätten Luthers Thesen per Hand abgeschrieben werden müssen, hätte es keine Reformation gegeben. Im Gefolge der Reformation wird das Kirchenlied zum wichtigsten Medium des (evangelischen) Christentums. Mit der Entstehung von Zeitungen werden Nachrichten zur Ware. Die Zeitungen im 19. und 20. Jahrhundert waren sehr stark in Milieus differenziert – mediale Blasenkultur ist also nicht so neu, wie es scheint. Mit der Telegrafie wird es erstmals möglich, Nachrichten in Echtzeit zu übermitteln. Damit steigt die Informationsdichte weiter an. Es folgen die Übertragung von Ton (Telefon) und Bild. Das Kino ist zunächst Medium der Unterhaltung, nicht der Bildung. Die kirchliche Kritik war zunächst heftig. Deren moralisch geprägte Medienkritik („Schund und Schmutz“) führte zur Einrichtung der Bundesprüfstelle. Zugleich bediente sie sich aber auch bald der neuen Medien. Das galt ähnlich auch für Rundfunk und besonders das Fernsehen. Die Entwicklung des Privatfernsehens brachte eine weitere Diversifizierung der Gesellschaft. Inzwischen ist das Smartphone das Gerät, mit dem am häufigsten kommuniziert wird. Wenn auf der Webseite einer Kirchgemeinde zu lesen ist: „Aktuelles entnehmen Sie bitte der Tagespresse“, dann haben sie das Prinzip nicht begriffen.

Leib Christi digital

Ist der Leib Christi digitalisierbar? Zu dieser Frage referierte zunächst Dr. Martin Ostermann, röm.-kath. Fundamentaltheologe und aktiv in der Fachstelle Medien und Digitalisierung des Erzbistums München. Sakramentale Vollzüge in digitaler Vermittlung unterscheiden sich nicht kategorial von denen in anderer medialer Vermittlung, etwa in Radio und Fernsehen. Letztlich sind Sakramente selbst Medien, die in der Gott-Mensch-Beziehung vermitteln. In den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils finden sich grundlegende Weichenstellungen. Die Deklaration Gaudium et Spes weist im Abschnitt 36 darauf hin, dass es dem Willen des Schöpfers entspricht, dass die geschaffenen Dinge eine Autonomie besitzen. Die Pastoralinstruktion Communio et Progressio (CeP, 1971, Nr. 12) erklärt, dass die „erstaunlichen Erfindungen der Technik“, die der sozialen Kommunikation unter Menschen dienen,  für den gläubigen Christen als „von der Vorsehung Gottes gegebene Mittel, um das Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde zu fördern“ gesehen werden können. Sie ermöglichen „neue Wege zur Begegnung mit dem Evangelium“ (CeP 128), wobei die Art der Darstellung aber immer mediengerecht sein muss.

Kann gottesdienstliches Geschehen in Radio oder Fernsehen übertragen werden? 1926 war die Fuldaer Bischofskonferenz strikt gegen eine Wiedergabe von Gottesdiensten oder Predigten im Radio. Aber bereits 1932 preschte der Vatikan vor und es fand die erste Übertragung einer päpstlichen Weihnachtsmesse mit Pius XI. statt. Seit 1959 überträgt die ARD reguläre Sonntagsgottesdienste. Kirchlicherseits wird dazu festgehalten: Jede Übertragung ist „auf eine konkrete Feier am Ort angewiesen“. Die medial vermittelt Zugeschalteten können „intentional mitfeiern“, aber wegen der räumlichen Trennung nichts beitragen und „keinen direkten Einfluss auf die gottesdienstliche Handlung am Ort ausüben“. So beschreiben es die Leitlinien und Empfehlungen für Gottesdienst-Übertragungen in Hörfunk und Fernsehen von 2007 – also dem Jahr, in dem das iPhone erschienen ist.

Sakramente online

Die entscheidenden Fragen im Blick auf die digitale Vermittlung von sakramentalen Vollzügen liegen nicht in der Präsentation und Form (wenngleich das massenhafte schlichte Streamen von Gottesdiensten ein erheblicher Rückfall in der mystagogischen Bildregie darstellt, die das Mitfeiern erleichtern soll). Die zentralen Fragen betreffen die Partizipation und die Gemeinschaft. Dazu gibt es im katholischen Bereich gegenwärtig verschiedene Stimmen. Prof. Dr. Thomas Ruster (Dortmund) hat auf katholisch.de das Wort als Segens- und Verheißungswort in das Zentrum gestellt, was eine mediale Vermittlung ermöglicht. Demgegenüber betont Prof. Dr. Dr. Bernd Irlenborn (Paderborn), dass Gott sich schöpfungstheologisch und christologisch an Raum und Zeit gebunden hat. Dieses „inkarnatorische Prinzip“ finde sich auch bei den auf reale Vorgänge in Raum und Zeit bezogenen Sakramenten. Eine Mittelposition vertritt Prof. Dr. Teresa Berger von der Yale-University, wenn sie darauf verweist, dass die Theologie auch bisher „über Materalität, Physikalität und Kopräsenz hinaus“ gedacht hat, wenn sie etwa in Notfällen den Empfang der Taufgnade auch ohne Wasser allein durch den Taufwunsch und einer spirituellen Kommunion durch sehnendes Schauen für möglich gehalten hat. Aber wie stehen Notsituationen zum Normalfall?  Fazit: Die Diskussion ist auf katholischer Seite noch voll im Gange.

Leiblichkeit und Gemeinschaft

Für Pfr. Dr. Frank Vogelsang, Direktor der Ev. Akademie im Rheinland, spielt die Leiblichkeit eine zentrale Rolle. Der Leib Christi – das ist nach Paulus zunächst eine Beschreibungsform der christlichen Gemeinde. Folglich steht die Gemeinschaft dort im Mittelpunkt. Vogelsang wird konkret und beschreibt ein Szenario: Es gibt eine feiernde Gemeinde. Alle sitzen an unterschiedlichen Orten und sind digital miteinander verbunden. Die Teilnehmenden haben jeweils Brot und Wein vor sich stehen. An einem Ort werden die Einsetzungsworte gesprochen. Dann nehmen sich alle von den Elementen. Von diesem Szenario existieren diverse Varianten, von Versanddiensten, die fertige Hostien bringen oder irgendwann kommen sie vielleicht auch aus dem 3D-Drucker. Dieses Szenario entspricht für ihn nicht der „rechten Verwaltung“ des Sakramentes aus Artikel 7 der Augsburger Konfession. Dabei geht es gar nicht darum, festzulegen, wo Gott ist und wirkt oder nicht. Für das göttliche Geschehen können wir keine ganz klaren Bedingungen nennen. Unsere Frage ist aber: Ist das, was wir tun, ein kräftiges Zeugnis für dieses göttliche Geschehen? Die Übertragung der Einsetzungsworte ist kein Problem. Das ist kein magisches Geschehen. Aber in dem beschriebenen Szenario fehlt ein entscheidender Aspekt. Im Abendmahl empfangen wir Brot und Wein. Das erinnert daran, dass Jesus sich für uns hingegeben hat. Jesus schenkt sich in dieser Gabe. Das Geben ist folglich etwas Entscheidendes. Es ist kein überzeugendes Zeichen für dieses Geschehen, wenn jeder sich Brot und Wein selbst nimmt. Wenn aber das Szenario dahingehend verändert ist, dass nicht Einzelpersonen, sondern kleine Hausgemeinden zusammenkommen, die digital verbunden sind und sich nach den Einsetzungsworten gegenseitig Brot und Wein reichen, dann ist alles erfüllt. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ – so lautet die biblische Zusage (Mt 18,20).

Praxis

In vier Impulsen kamen praktische Fragen in den Blick: SocialMedia-Aktivitäten sollten nicht auf Krampf begonnen werden, sondern, wenn man Lust darauf hat. Richtlinien der Landeskirche geben nützliche Tipps dafür, erläuterte KR Tabea Köbsch, Pressesprecherin im Landeskirchenamt. Dr. Julia Gerlach von der Evangelischen Akademie Sachsen berichtete von ihren Erfahrungen mit Videokonferenzen. Für Planungen sind sie super. Aber es fehlt das Bier danach. Bei dem Andachtsformat „Instapulse“ auf Instagram werden viele Menschen erreicht, die sonst nur eine lose oder gar keine Verbindung zur Kirche haben. Überraschenderweise haben sich die Fürbitten als Herzstück der Veranstaltung herausgestellt, wie Pfr. Nico Ballmann berichtete. Sublan-Gottesdienste ermöglichen Interaktivität im Gottesdienst und die Einbeziehung von Rückmeldungen, ohne dass es chaotisch wird. Pfr. Rasmus Bertram aus Frankfurt stellte das Konzept mit viel Engagement vor.

Ethik

Eine Tagung mit „Achtergewicht“ erzeugte der gehaltvolle Vortrag von Pfr. Dr. Gernot Meier, Beauftragter für Ethik und Theologie der Digitalisierung der Evangelischen Landeskirche in Baden. Mit nüchternem Blick auf die gesellschaftlichen Folgen der technischen Entwicklungen (Künstliche Intelligenz, Gesichtserkennung, DeepFakes, Micro-Targeting, zunehmende Vermischung von Mensch und Maschine u.v.a.m.) mahnte er an, dass die Kirchen gefordert sind, jetzt die ethischen Koordinatensysteme mit zu entwerfen, die wir in den kommenden Jahrzehnten brauchen werden. Wir sind die einzige Generation, die die Zeit vor und nach der Digitalisierung kennt. Daraus erwächst eine Verantwortung, die wahrgenommen werden sollte.

Harald Lamprecht

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2021 ab Seite 18