Wie ökumenisch ist die Neuapostolische Kirche?

Identitätsfindung zwischen Öffnung und Restauration

In letzter Zeit häufen sich die Anfragen in der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen, die nach der aktuellen ökumenischen Position der Neuapostolischen Kirche (NAK) fragen. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) hatte in Baden-Württemberg Gespräche geführt, die Bundes-ACK hat ein Faltblatt verschickt, in Frankfurt fand eine Tagung zum Thema statt - was ist dort herausgekommen? Wo steht die Neuapostolische Kirche heute?

Kartenstudium

Die Fragen sind berechtigt, denn die Neuapostolische Kirche ist in Bewegung gekommen. Aber das Bild ist diffus und schwer zu überblicken. Die Bewegung der NAK ähnelt einer großen Wandergruppe, die sich über den richtigen Weg uneins ist. Manche gehen schon mutig voran, andere halten das für den falschen Weg und rufen laut zurück, viele wollen los, aber trauen sich nicht recht, und weil jeder auf den anderen wartet bewegt sich der Tross trotz viel Geschäftigkeit nur wenig.

Nun ist die Neuapostolische Kirche beleibe kein anarchischer Haufen, sondern eine streng hierarchisch organisierte Gemeinschaft, in der dem Stammapostel die unbestrittene Führungsrolle zukommt. Doch auch dieser ist gut beraten, die divergierenden Kräfte innerhalb seiner Gemeinschaft nicht einfach zu ignorieren, was ihn momentan eher in das Mittelfeld der Zögernden befördert, die noch die Landkarte studieren und ab und an die Vorauseilenden zurück rufen.

Viele Mitglieder der Neuapostolischen Kirche wünschen sich eine ökumenische Öffnung ihrer Gemeinschaft. Sie haben erkannt, dass auch in den anderen Kirchen echtes gelebtes Christentum besteht. Persönliche Kontakte und Freundschaften machen es ihnen schwer, den alten neuapostolischen Glaubenssätzen von der alleinigen und exklusiven Heilsmittlerschaft des Apostelamtes uneingeschränkten Glauben zu schenken. Dabei wollen die meisten von ihnen ihre Glaubensheimat nicht aufgeben, an der sie vieles schätzen. Aber sie wollen die Neuapostolische Kirche aus dem ökumenischen Abseits heraus holen, in dem sie jahrzehntelang in selbstgewählter Isolation existiert hat. Im Vergleich zu diesen früheren Zeiten ist bereits das Landkartenstudium ein erfreuliches Signal.

Diesen gegenüber stehen die warnenden Stimmen, die ein völliges Zerbrechen der Neuapostolischen Kirche durch den Verlust ihrer Identität befürchten. Wenn das Apostelamt nicht den (alleinigen) Weg zum Heil garantiert - warum müsse man dann überhaupt noch Neuapostolisch sein? Außerdem: wenn man jahrzehntelang gelehrt hat, dass die Kirche Jesu Christi ausschließlich durch die Vermittlung der Apostel zustande kommt, die allein in der Lage sind, in der Handauflegung die Gabe des heiligen Geistes zu spenden, lässt sich dies nicht alles über Nacht für ungültig erklären, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren. In diesem Dilemma befindet sich seit einigen Jahren auch die Leitung der Neuapostolischen Kirche und probiert vorsichtig verschiedene Wege aus diesem Wald.

Uster 2006: Taufe und Exklusivität

Bei einem viel beachteten Informationsabend in Uster am 24. Januar 2006 wurden im Zusammenhang mit den Themen Taufe, Heilige Versiegelung, Exklusivität, Heilsnotwendigkeit des Apostelamtes und Nachfolge eine Reihe offizieller Lehrveränderungen bekannt gegeben. Die Präsentation und die ausgearbeiteten Texte bilden ein Lehrstück neuapostolischer Diplomatie, die versucht, allen Seiten zugleich gerecht zu werden.

a) Taufe:

Seit diesem Abend werden von der Neuapostolischen Kirche ordentlich (d.h. im Namen des dreieinigen Gottes mit Wasser) vollzogene Taufen anderer christlicher Kirchen anerkannt. Zur Begründung sagte der Stammapostel programmatisch „In der heutigen Zeit ist es gut, wenn überall die Christen enger zusammen rücken und sich nicht als Gegner bekämpfen sondern gemeinsam ihren Herrn und Meister Jesus Christus bekennen.“[2] Keine Änderung gab es allerdings im Blick auf die Versiegelung, welche entsprechend nach wie vor gültiger neuapostolischer Lehre die Wiedergeburt aus Wasser und Geist vollendet. Dazu hieß es in Uster: „Dieses Sakrament wird einzig durch das Apostelamt gespendet. Es ist unabdingbare Voraussetzung um zur Brautgemeinde Christi zu zählen.“ Es ist lediglich der bisher übliche Akt einer neuapostolischen „Bestätigung“ einer fremden Taufe weggefallen. Dies ist eine freundliche ökumenische Geste - viel mehr aber nicht. Ohne Versiegelung bleibt eine Taufe aus neuapostolischer Sicht unvollständig. Das hat sich nicht geändert.

b) Exklusivität und Heil

In Bezug auf das Heil werden in den Ausführungen von Uster neuerdings drei Stufen bzw. Zugangsweisen unterschieden:

1. Das gegenwärtig in Christus angebotene Heil mit dem Ziel der Sammlung der Braut Christi, ihre Bereitung auf sein Wiederkommen und die Teilnahme an der Hochzeit des Lammes, um damit in das zukünftige Heil der ewigen Gemeinschaft mit Gott dem Vater und seinem Sohn eintreten zu können. Dieses Heil bleibt nach wie vor allein neuapostolischen Christen vorbehalten, weil es an die Vermittlung durch das Apostelamt gebunden bleibt.

2. Die Märtyrer, welche ihr Leben für Gott gegeben haben und diejenigen, welche im Rahmen der endzeitlichen Trübsal als Märtyrer zu ihrem Glauben stehen, können auch ohne Wirkung des Apostelamtes Heil erfahren.

3. Im Zusammenhang mit dem Endgericht gewährt Gott noch einmal Heil, welches ebenfalls nicht an die Vermittlung von Aposteln gebunden ist.

Die Unterscheidung dieser Stufen ermöglicht es, den Exklusivanspruch zugleich aufzugeben und zu behalten: Weil die NAK nicht beansprucht, den einzigen Zugang zur endzeitlichen Erlösung zu bieten, möchte sie nicht mehr undifferenziert als „exklusiv“ bezeichnet werden. Im Blick auf die Bereitung der Braut, also das Erleben der Wiederkunft Christi und die damit verbundene Erlösung bleibe aber das Apostelamt zwingend. „Das Apostelamt ist heilsnotwendig für die Bereitung der Braut. In anderen Abschnitten nach unserem Verständnis nicht mehr.“ Die dazugehörige Pressemitteilung formuliert das Spannungsverhältnis so: „Neuapostolische Kirche präzisiert ihre Heilslehre: Exklusiv ja, aber ohne Absolutheitsanspruch“.

In manchen Gesprächen mit neuapostolischen Amtsträgern kann es so klingen, als sei die Mitgliedschaft in der Brautgemeinde quasi neuapostolisches Sondergut, welches die Christen anderer Kirchen weder kennen noch wollen und ihnen folglich nichts abspricht. Diese Sichtweise kann von Seiten der evangelischen Kirche nicht geteilt werden. Auch die evangelische Kirche erwartet die Wiederkunft Christi. Um es in das Bild von der Bewegung zu fassen: Die NAK beansprucht, im Bus zum Heil zu sitzen, was sichere Ankunft dank Reiseführer und problemlosen Grenzübertritt garantiert. Auch wenn nur NAK-Mitglieder Fahrkarten für diesen Bus bekommen, sei das nicht exklusiv, denn die anderen können ja zu Fuß über die Alpen gehen, das sei ohnehin interessanter als auf der Autobahn.

Ein Schritt vor und einen halben zurück

Trotz der genannten Einschränkungen war der Abend von Uster ein deutliches Aufbruchssignal, vergleichbar dem „aggiornamento“ des II. Vatikanischen Konzils. Hat doch der Stammapostel verkündet, „unser Glaube, dass das Apostelamt zur Bereitung der Braut unerlässlich ist schließt aber nicht aus, dass außerhalb unserer Kirche in christlichen Gemeinschaften die Jesus Christus wahrhaft bekennen, vielfältige Elemente von Wahrheit sind. … In diesem Sinne wirkt der hl. Geist auch außerhalb der Neuapostolischen Kirche, weil es auch in anderen christlichen Gemeinschaften vielfältige Elemente göttlicher Wahrheit gibt.“ Diese in Uster deutliche Grundtendenz der Öffnung weckte große Hoffnungen auf Seiten der Reformer, die zügig – und weiter als erlaubt – in der damit angezeigten Richtung losrannten. Mancherorts wurden sogar ökumenische Gottesdienste gefeiert, obwohl dies in einer Richtlinie vom 21. 6. 2006 grundsätzlich ausgeschlossen wurde. In Hamburg-Blankenese schraubten manche Amtsträger die neuapostolische Exklusivität noch weiter zurück. Das ging anderen viel zu schnell und zu weit. Im April 2007 wurden in Blankenese drei Diakone mit großem Skandal abberufen. Stammapostel Leber erklärte dazu: „Die Auffassung, dass es nur der Hinwendung zu Jesus Christus bedarf und ein Amt zur Erlangung des Heils nicht erforderlich ist, lässt sich mit der Position der Neuapostolischen Kirche nicht in Einklang bringen.“[3] Die Wandergruppe wurde zurückgepfiffen.

Heiliger Geist in Portionen

Ähnlich wie das (endzeitliche) Heil wird auch in der Gegenwart nach neuer neuapostolischer Lehrmeinung der Heilige Geist in verschiedenen Portionen serviert. In einer Lehrmitteilung vom 11. 1. 2007 wird ausgeführt, dass es kein Widerspruch sei, wenn gelehrt wird, dass zum einen die Übermittlung von Heiligem Geist in der Heiligen Versiegelung an das Apostelamt gebunden ist, während auf der anderen Seite davon die Rede ist, dass der Heilige Geist auch in anderen kirchlichen Gemeinschaften wirken kann.

Die Lösung des Problems liegt in einer neu eingeführten Untescheidung verschiedener Geistarten, nämlich zwischen dem Heiligen Geist als dritter Person der Trinität und Heiligem Geist als Gabe oder Kraft Gottes. Als dritte Person der Trinität wirkt der Heilige Geist überall, d.h. auch außerhalb der Neuapostolischen Kirche. Die Übermittlung von Heiligem Geist als sakramentaler Gabe und der darin enthaltenen Gotteskraft geschieht hingegen nach wie vor exklusiv durch die Apostel. Auch hier sieht man deutlich die Spannung zwischen vorsichtiger Öffnung und ängstlicher Bewahrung. Also loslaufen, aber trotzdem dableiben.

Kann ein Stammapostel irren?

Der anderen Wandergruppe, mit der man sich auf dem Aussichtspunkt treffen wollte, versichert man immer wieder am Telefon, man sei schon auf dem Weg und verweist auf die beträchtliche Zahl der im Hin- und Herlaufen aufsummierten Kilometer. Das Landkartenstudium gestaltet sich deshalb als schwierig, weil man in der Vergangenheit Irrwege gelaufen ist, die man aber stets als den rechten Weg ausgegeben hat. Die Position zu korrigieren wäre möglich, aber man fürchtet, dies könnte das Vertrauen in den Wanderleiter nachhaltig erschüttern. So begnügt man sich damit, zu sagen, die Marschroute war schon richtig, nur die Landschaft war falsch. Den Treffpunkt mit den Anderen kann man auf diesem Weg aber nicht erreichen.

Bereits der frühere Stammapostel Fehr setzte eine Arbeitsgruppe zur Untersuchung und Aufarbeitung der Geschichte der NAK ein. Etliche Jahre arbeiteten die Mitglieder der NAK, untersuchten Textzeugnisse aus der Vergangenheit und befragten Zeitzeugen. Mit viel Spannung wurde der Bericht erwartet. Sein Erscheinen machte viele Hoffnungen auf baldigen Fortschritt und eine Änderung der NAK zunichte. Prof. Helmut Obst hat im Materialdienst der EZW den Bericht analysiert und in die historischen Zusammenhänge eingebettet. Strittige Kernfrage dahinter ist: Können Stammapostel irren? Angesichts des immensen Anspruches, der in der NAK mit diesem Amt verknüpft ist, fällt eine Bejahung dieser Frage offensichtlich zu schwer. Stammapostel Johann Gottfried Bischoff hatte zu Weihnachten 1951 verkündet, dass Jesus noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde. Danach hat er die Anerkennung dieser „Botschaft“ mit harter Hand von allen Gliedern der NAK erzwungen, was eine Reihe von Abspaltungen auslöste. Nach seinem Tod war die NAK in Erklärungsnot und behalf sich damit, dass Gott seine Pläne geändert habe. Ein Stammapostel kann nicht irren. Von der Arbeitsgruppe zur Geschichtsaufarbeitung erhofften sich die Reformkräfte eine Änderung dieser Position, was auch für das heutige Verhältnis zu den aus diesen Abspaltungen hervorgegangenen anderen apostolischen Gruppen (besonders zur Vereinigung Apostolischer Gemeinden) bedeutsam ist. Sie wurden bitter enttäuscht. Der Informationsabend vom 4. Dezember 2007 war für die Ökumenebemühungen der NAK ein schwerer Rückschlag, denn das Fazit lautete: Der Stammapostel hat keinen Fehler gemacht. Schuld an den Spaltungen war die mangelnde Ausrichtung der Anderen auf den Stammapostel.

Seitdem ist Stammapostel Leber um Schadensbegrenzung bemüht. Als symbolischer Akt kann ein Treffen Lebers mit dem Sohn des damals ausgeschlossenen Peter Kuhlen im März 2008 angesehen werden. Der Historiker Christian Ruch fasst das Dilemma der NAK folgendermaßen zusammen: „Wenn sie sich nicht deutlich von der Prophezeiung Bischoffs distanziert, wäre das für ihre Kritiker und die reformwilligen Kräfte innerhalb der Kirche der Beweis, dass sie zu Reformen nicht willens und/oder fähig ist - kommt es jedoch zu einer Distanzierung, besteht angesichts der jahrzehntelangen Rechtfertigung die Gefahr, dass die NAK nicht nur das bisher sakrosankte Amt des „Stammapostels“ diskreditiert, sondern auch jene, vor allem ältere Mitglieder desavouiert, die stets bereit waren, die Rechtfertigung Bischoffs gegen alle Kritik mitzutragen.“[4]

Nacht der Kirchen

Wenn in der Vereinszeitschrift die Wandergruppe und die schönsten gelaufenen Touren vorgestellt werden, dann will man natürlich als gleichwertiger Partner mit in der Präsentation erscheinen, schließlich habe man ja auch schon die Wanderschuhe an.

In Werbung und Öffentlichkeitsarbeit wie bei der „Nacht der Kirchen“ hat die NAK nichts gegen eine größere Nähe zu den ökumenischen Kirchen und möchte mit ins offizielle Programmheft aufgenommen werden. In Radeberg ist es ihnen bereits gelungen. Aber ist das ehrlich? Es wird der Eindruck suggeriert, als sei die NAK schon in der Ökumene angekommen. Das ist sie aber trotz vieler Bemühungen leider noch nicht. Wer den Aussichtspunkt am Ende für sich allein haben will, ist kein gleichberechtigter Wanderpartner. Daher ist von solchen falschen Präsentationen einer nicht vorhandenen Nähe derzeit abzuraten.

ACK-Faltblatt

Zur Ergebnissicherung der bisherigen Gespräche zwischen ACK Baden-Württemberg und Neuapostolischer Kirche wurde ein Faltblatt erarbeitet, welches beschreibt, was aus heutiger Sicht ökumenisch möglich ist und was nicht. Das Faltblatt wurde an alle Mitglieder der ACK in Deutschland verschickt und ist über die Internetseite der ACK-BW erhältlich[5]. Im Prinzip ist den dort ausgeführten Vorschlägen zuzustimmen, lediglich die Vorbemerkungen haben deutlichen Widerspruch erfahren, denn sie transportieren das von der NAK in Ökumenekreisen gern gepflegte Bild großer innerer Veränderungen, während die faktischen Lehränderungen eben nicht „bedeutend“, sondern wie beschrieben eher sehr zwiespältig sind.

Fazit

Die NAK ist nicht mehr dort, wo sie vor 20 Jahren war. Bereits die Diskussionen zeigen: Es gärt gewaltig innerhalb der NAK. Man lese nur etwas in den zahlreichen Internetforen, in denen NAK-Mitglieder ihr Herz ausschütten. Auch wenn der große Tross nur langsam in Bewegung kommt, sollte ein Zerfallen der NAK aus ökumenischer Sicht vermieden werden. Die Kirchen sollten den Prozess der Öffnung der NAK mit viel Geduld wohlwollend kritisch begleiten, Begegnungen und gegenseitiges Kennenlernen unterstützen, unpassender Vereinnahmungen und irreführende Darstellungen aber abwehren. Vor der NAK liegt noch ein weiter Weg bis zu wirklicher Akzeptanz der christlichen Ökumene. Dieser Weg sollte ihr nicht erspart werden.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/204

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2008 ab Seite 05