Kommt die Religion oder geht die Religion?

In welcher Religionskultur leben wir? (31. DEKT Köln 2007)

Eine bis auf den letzten Platz gefüllte Kirche und ausführliche Berichterstattung im Deutschlandfunk signalisieren das besondere Interesse an der Auftakt-Veranstaltung zur Frage der Situation unserer gegenwärtigen Religionskultur. Einerseits erleben wir eine verstärkte Wiederkehr der Religion auf der öffentlichen Bühne und ein Wiedererstarken des Fundamentalismus weltweit. Andererseits hat sich die Religionsstatistik nicht so stark verändert, wie manche große Reden meinen lassen. Was ist also dran am Mega-Trend Religion?

Evangelium statt Religiosität

Gottes geilste PartyProf. Dr. Ulrich H. J. Körtner (Wien) äußerte sich skeptisch gegenüber überzogenen Erwartungen. Die Phänomene wiederkehrender Religion würden vielfach erst durch ihre Deutung erzeugt. Religion ist dann das, was von interessierter Seite dazu erklärt wird. Für Christen gehe es aber nicht darum, ein möglichst großes Stück vom Kuchen diffuser Religiosität zu bekommen, sondern das Evangelium von Jesus zu verkünden, das immer auch religionskritisch ist! Den Religionslosen erst einzureden, sie seien religiös, gehe nicht nur an der Lebenswirklichkeit der „Gewohnheitsatheisten“ in Ostdeutschland vorbei. Theologisch entspräche es sogar der Beschneidungsforderung für Christen: „Ihr müsst erst etwas andereres (Juden, religiös etc.) werden, bevor ihr Christen werden könnt.“ Solches wurde von Paulus scharf abgelehnt. Die religiösen Massenereignisse wie die Papamanie zu den Papstbesuchen und auch der Kirchentag sind Hybrid-Events, in denen der eigentliche religiöse Faktor nur eine kleine Rolle spielt. Insgesamt bedeutet der Formenwandel aber einen Verlust der Religion auf allen Ebenen. Es gibt einen klaren Trend zur Säkularisierung, der durch die neuen „religioiden“ Formen „kleiner Transzendenzen“ im Stadion und anderswo nicht aufgehoben, sondern verstärkt wird. Letztlich geht es dem Christentum nicht um Religion, sondern um Gott. Körtner forderte dazu auf, die Sprachnot des Glaubens zu bekämpfen und an die Erinnerungsspur der biblisch bezeugten Gottesoffenbarung anzuknüpfen. Ein Megatrend Religion ohne Christusbekenntnis nützt Christen nichts. Was bedeutet Christus für die Welt? Was bedeutet es, ein Christ zu sein? Das sind die entscheidenden Fragen für die Zukunft, auf welche die Kirchen verständliche Antworten geben müssen. Die „Theologie der leeren Bänke“ könne als missionarische Aufgabe verstanden werden: „Es ist noch Platz in der Kirche!“

Revitalisierung der Religion

Von einer anderen Einschätzung der Ausgangssituation ging Prof. Dr. Christoph Schwöbel (Tübingen) aus. In dem Maß, wie Religion wieder ein Faktor der öffentlichen Diskussion geworden ist, würde Bonhoeffer heute wohl nicht mehr von einem „religionslosen Zeitalter“ sprechen, meinte Schwöbel, und verbindet das mit drei Beobachtungen: a) dem Einflussgewinn der historischen Religionen mit Wachstum in ihren konservativen Flügeln, b) dem Anwachsen kombinatorischer Religiosität im „Zeitalter der Leichtgläubigkeit“, wobei die Wahrheitsansprüche der Religionen suspendiert und zur Geschmacksfrage erklärt werden, sowie c) der Revitalisierung von Religion in ehemals nichtreligiösen Bereichen (Wissenschaft, Wirtschaft, Gesundheitswesen). Das Abrackern im Fitnessstudio sei eine Form religiöser Askese, denn es sei sonst nicht zu ertragen, meinte Prof. Schwöbel. Kernfrage ist aber die Beteiligung der Religion an der Bildung der eigenen Identität. Christliche Identität basiert auf Freiheit und wird durch die Begegnung mit der Bibel gebildet (sola scriptura). Insofern sei die Bibelstunde eben nicht durch den Männergesprächskreis zu ersetzen. Kern des christlichen Bekenntnisses ist die Erlösung durch Christus. Dies kann keine Zen-Meditation und kein Tanz der Derwische ersetzen.

Fazit

Beeindruckend an dieser Veranstaltung war, wie beide Referenten trotz gegensätzlicher Ausgangsthesen letztlich gemeinsam zu einer Stärkung des Kernbereiches christlicher Verkündigung aufriefen. Egal ob „Religion“ nun kommt oder geht: das Christentum braucht die Verkündigung von Christus. Alles andere ist nebensächlich und folgt daraus, kann aber diese Verkündigung nicht ersetzen.

Harald Lamprecht

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2007 ab Seite 09