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Demokratie retten - AfD verbieten?

Zur Diskussion um ein mögliches Verbot der AfD

In der Öffentlichkeit nehmen die Debatten um ein Verbot der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) zu. Im Haus an der Kreuzkirche fand zu dem Themenfeld Anfang März 2024 eine Podiumsdiskussion statt und auch die Reihe #aufgetischt des Evangelischen Bundes widmete sich diesem Thema. Dabei zeigte sich: Die Positionen in dieser Frage sind unterschiedlich – auch unter demokratisch stark engagierten Personen. Dabei geht es gar nicht mal so sehr um die Erfolgsaussichten, sondern um die Kollateralschäden. Schließlich bedeutet ein Parteienverbot auch immer einen schweren Eingriff in das demokratische System. Ist er durch die Gefahren gerechtfertigt?

Die Rechtslage

Grundsätzlich ist ein Verbot einer politischen Partei im demokratischen System möglich. Es ist vom Grundgesetz ausdrücklich so vorgesehen und Bestandteil des Konzeptes der „Wehrhaften Demokratie“. Dieses soll verhindern, dass die Demokratie auf demokratischem Weg abgeschafft wird, wir dies 1933 in der Weimarer Republik geschehen ist. Die Artikel 1-20 des Grundgesetzes haben darum eine „Ewigkeitsgarantie“, d.h. diese zentralen Grund- und Freiheitsrechte dürfen auch nicht durch eine Verfassungsänderung in ihrem Kerngehalt beeinträchtigt werden. 

Artikel 21 GG regelt das Wirken der Parteien. Parteien haben für die Demokratie eine elementare Funktion. Deshalb sind sie in ihrem Bestand und ihrer Freiheit sehr weitgehend geschützt. Die Träger der staatlichen Macht sind zur strikten Gleichbehandlung aller Parteien verpflichtet. Wenn Parteien allerdings gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agieren, verlieren sie diesen Status. Im GG Art. 21 Abs. 2 heißt es: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Die Feststellung, ob dies so ist, trifft allein das Bundesverfassungsgericht. Berechtigt, ein solches Prüfverfahren zu beantragen, sind der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung.

Das NPD-Verbotsverfahren

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es mehrere Verbotsverfahren von Parteien gegeben. Zum Verbot führten 1952 das Verfahren gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP, eine Nachfolgeorganisation der NSDAP) und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). 

Gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wurden zwei Verfahren angestrengt. Das erste scheiterte daran, dass aus Sicht des Gerichtes zu viele Kontaktpersonen des Verfassungsschutzes in leitenden Positionen der Partei waren. Weil deren Handlungen (entgegen der Sichtweise der Verfassungsschutzämter) dem Staat zugerechnet wurden, sei kein rechtsstaatliches Verfahren möglich, meinte das Gericht. 

Im zweiten Verfahren  (nach Abzug der V-Leute) wurde vom Gericht zwar die Verfassungsfeindlichkeit der NPD klar bejaht. Allerdings war die Partei zwischenzeitlich sehr geschwächt und zahlenmäßig wie politisch unbedeutend geworden. Wahrscheinlich war das Verfahren selbst dafür eine wesentliche Ursache. Im Ergebnis sah das BVerfG keine ausreichenden Anhaltspunkte, die eine Durchsetzung der von der Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen. Damit wurde das Kriterium der „Potenzialität“ neu eingeführt, das im GG gar nicht vorgesehen ist, aber auf entsprechende Regelungen auf europäischer Ebene Rücksicht nimmt. Folglich wurde die Partei – trotz erwiesener Verfassungsfeindlichkeit – nicht verboten. 

Daraufhin hat der Bundestag beschlossen, im GG einen neuen Absatz 3 im Artikel 21 einzufügen, der den Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung regelt für den Fall, dass eine Partei zwar verfassungsfeindlich agiert, aber mangels Potenzialität nicht ganz verboten wird. Gegen diese Änderung und ihre Anwendung hatte die NPD (inzwischen umbenannt in „Die Heimat“) geklagt und am 23.01.2024 vor dem BVerfG verloren. Die ausführliche 127-seitige Urteilsbegründung sei hier allen Interessierten zur Lektüre empfohlen. Sie liefert nicht nur eine Zusammenfassung der Grundlagen der Demokratie, sondern benennt auch die Kriterien für ein mögliches Parteienverbot (mithin auch ein kommendes AfD-Verbot) sehr klar. Mit diesem Urteil sind wesentliche Vorarbeiten von Seiten des Gerichtes bereits geleistet und diese Rechtsthematik aktuell aufgearbeitet. Insofern kann es als Blaupause für ein kommendes AfD-Verbotsverfahren betrachtet werden. Bei diesem steht das Kriterium der Potenzialität nun leider ganz und gar nicht in Frage. 

Zu klein oder zu groß?

Diese neue Rechtssprechung führt Parteienverbotsverfahren grundsätzlich in eine schwierige Situation. Praktisch bleibt nur ein begrenztes Zeitfenster, in dem ein Verbotsverfahren erfolgreich sein kann: 

Die Partei darf nicht mehr so klein sein, dass keine Aussicht auf Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele besteht (Potenzialität).

Zugleich darf sie aber auch noch nicht so stark sein, dass sie tatsächlich so wirken und z.B. nötige Beschlüsse mit ihrer Sperrminorität verhindern oder das Verfassungsgericht demontieren kann. 

Das Grundgesetz selbst kennt kein „zu groß“ für ein Verbot. Auch regierende Parteien sind verboten, wenn sie verfassungsfeindlich agieren – egal wie viele Menschen sie gewählt haben. Die politische Wirklichkeit sieht aber anders aus. Die Probleme wachsen dabei nicht linear, sondern eher exponentiell im Verhältnis zur Größe der zu verfassungsfeindlichen Partei. 

Das hängt zum einen daran, dass eben mit entsprechenden Wahlerfolgen auch der politische Einfluss solcher Parteien zunimmt. Es gelingt ihnen dann besser, nicht nur gesellschaftliche Stimmungen, sondern auch konkrete Abstimmungen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Wenn sie erst die entsprechenden Gremien und Positionen besetzt haben, stehen ihnen z.T. erhebliche Machtmittel zur Verfügung. Wer Polizeikräften und Staatsanwaltschaften Anweisungen geben kann, wer Richterstellen besetzen, Rundfunkstaatsverträge kündigen oder Parlamente blockieren kann, der kann nachhaltigen Schaden für das demokratische System verursachen. Das Verfassungsblog hat in seinem „Thüringen-Projekt“ versucht, zu analysieren und zu beschreiben, welche Folgen es für unser demokratisches System haben könnte, wenn Antidemokraten in verantwortliche Machtpositionen gelangen. Etliche dieser Schäden lassen sich auch nicht einfach reparieren. Wenn Institutionen aufgelöst, Richterstellen besetzt und Vertrauen zerstört wurde, dann ist das passiert. Diese Schwierigkeiten lassen sich gerade in Polen beobachten.

Zum anderen wachsen auch die Kollateralschäden für die Akzeptanz des demokratischen Systems insgesamt, je größer die Anhängerbasis der zu verbietenden Partei ist. All dies ist bei der Abwägung zu bedenken, ob und wann ein Parteiverbotsverfahren auf den Weg gebracht werden sollte. Es gibt ein „zu spät“.

Gegenargumente

Ein Parteiverbotsverfahren ist schweres Geschütz. Es hinterlässt nicht unbeträchtliche Kollateralschäden. Darum will sein Einsatz auch wohl überlegt sein. An Gegenargumenten fehlt es nicht in der öffentlichen Debatte. Einige sind durchaus ernsthaft und von Gewicht, andere wohl eher der Propaganda der AfD selbst zuzurechnen, die aus nachvollziehbaren Gründen entsprechende Debatten lieber heute als morgen abwürgen möchte. Die wichtigsten sollen hier kurz diskutiert werden. 

1) „Ein Verbotsverfahren stärkt nur die AfD, denn es bringt sie in eine Opferrolle.“ Das ist vermutlich das unsinnigste Argument der Debatte. Zum einen inszeniert sich die AfD ohnehin längst ständig in einer Opferrolle und in der Situation „Wir gegen Alle“. Daran würde eine Verfahrenseröffnung gar nichts ändern. Zum anderen zeigt gerade das jüngste Beispiel des NPD-Verbotsverfahrens, dass das Gegenteil richtig ist: Bereits ein laufendes Verfahren würde eine solche Partei nachhaltig schwächen. Das Scheitern des 2. NPD-Verfahrens war ein relativ direktes Ergebnis dieses Prozesses. Das ist auch insoweit logisch und verständlich, weil bereits die Verfahrenseröffnung ein schwer kalkulierbares Risiko für den weiteren Bestand der Partei mit sich bringt. Das Risiko, dass ihre Spenden im Verbotsfall direkt an den Staat fallen würden, hält auch rechtsextreme Mäzene wirkungsvoll davon ab, nach Verfahrenseröffnung noch in solche Strukturen zu investieren. Vermögenswerte werden anderswo in Sicherheit gebracht, Engagement nicht mehr in möglicherweise bald verschwundene Strukturen eingebracht. Das sind die realen Folgen eines Verbotsverfahrens.

2) „Wir müssen die AfD politisch bekämpfen“. Das ist vollkommen richtig. Es ist nur überhaupt gar kein Argument gegen ein Verbotsverfahren. Der politische Kampf läuft seit über 10 Jahren – mehr oder weniger engagiert, aber bisher weitgehend erfolglos. Stattdessen macht die Politik weiter dieselben Fehler, lässt sich von Rechtspopulisten das Migrationsthema diktieren etc. Auch bei einem erfolgreichen Verbot bliebe diese politische Aufgabe in nahezu gleicher Dringlichkeit bestehen, denn: 

3) „Ein Verbot löst die Probleme nicht, denn die Menschen sind ja trotzdem da.“ Auch das ist in der Sache richtig. Aber es ist ebenso kein Argument gegen ein Verbot. Wir sind mit der Demokratie in einem Schiff. Das Schiff hat ein Leck. Wasser dringt ständig ein. Das Schiff droht zu sinken. Da meint jemand: „Wir müssen das Leck nicht abdichten, denn dann ist ja hinterher immer noch das ganze Wasser im Schiff.“ Wie klug ist diese Position?

Ein Verbot ist kein Allheilmittel. Es ist nicht mehr als das Abdichten des Lecks. Insofern ist das in keiner Weise ein Argument gegen ein Verbotsverfahren, sondern lediglich der dringend nötige Hinweis darauf, dass man es nicht dabei bewenden lassen darf. In der Tat wäre die größte Gefahr eines erfolgreichen Verbotsverfahrens, dass zu viele Menschen dann möglicherweise der irrigen Meinung wären, die Gefahren für die Demokratie wären damit gebannt und man bräuchte nichts mehr zu tun. 

4) „Das dauert lange, mindestens Jahre…“. Das stimmt ebenfalls. Das Bundesverfassungsgericht ist gründlich, aber darum in der Regel nicht sehr schnell. Dennoch ist auch das kein Argument gegen ein Verbotsverfahren, sondern vor allem dafür, damit bald zu beginnen und den entsprechenden Antrag jetzt zu stellen. Das dafür mögliche Zeitfenster ist begrenzt. Wie lange es wirklich dauert, ist offen. Das Gericht kann gelegentlich auch schnell entscheiden, wenn es darauf ankommt.

5) Die Repräsentationslücke: „Die Menschen, die AfD gewählt haben, fühlen sich dann im demokratischen System nicht mehr repräsentiert.“ Dieses Argument trifft durchaus einen Punkt, denn Repräsentanz ist grundsätzlich wichtig für das Funktionieren der Demokratie. Allerdings gilt es hier zu unterscheiden: 

  • a) Ungefestigte Protestwähler wählen AfD aus allgemeiner Unzufriedenheit heraus. Diese sind nicht alternativlos, sondern haben viele andere Parteien zur Verfügung, die sie statt dessen wählen können und sind damit doch sehr wohl noch repräsentiert.

  • b) Rechtsextreme Anhänger wählen die AfD, weil sie so ist, wie sie ist, sie wollen die Ausländerfeindlichkeit und verachten selbst das demokratische System. Diese Positionen allerdings will unsere Verfassung nicht politisch repräsentiert sehen. 

Deshalb gibt es den Abs. 2 Art. 21 GG mit dem Parteienverbot. Solche Positionen sollen keinen gleichberechtigten Raum in der politischen Diskussion haben, weil sie eben diesen Raum zerstören würden. 

6) Akzeptanzverlust: Das gewichtigste Gegenargument lautet: Wenn „das demokratische System“ eine Partei verbietet, die so viele Anhänger hat, kann das schwer kalkulierbare Folgen für die Akzeptanz der Demokratie insgesamt haben. Das stimmt leider. Ein Verbotsverfahren entspricht nicht den Nasentropfen bei Schnupfen. Es ist die Chemotherapie bei Krebs. Das hat unerwünschte heftige Nebenwirkungen. Da fallen nicht nur die Haare aus. Das macht man nicht leichtfertig, sondern nur, wenn der Organismus durch den Krebsschaden in seinem Überleben bedroht ist. Auch dort gibt es ein „zu spät“. Wenn die Metastasen sich durch den ganzen Körper ziehen, hilft auch die Chemotherapie nicht mehr. 

Fazit

Die öffentlich zu diskutierende Frage ist: Wie stark ist der rechtsextreme Krebsschaden an der Demokratie schon geworden? Ist der Tumor noch rein politisch operabel? Oder braucht es die verfassungsrechtlich vorgesehene Notbremse?

Das eben bemühte Bild vom Leck im Schiff ist unvollständig. Genau genommen geht es darum, dass da diverse Menschen im Unterdeck dabei sind, mit Äxten und Bohrern immer neue Löcher ins Schiff zu schlagen. Diese rütteln jetzt an dem Schrank, in dem die Kettensägen und Bohrmaschinen liegen, mit denen sie ihr Zerstörungswerk noch viel energischer voranbringen könnten. Das gilt es zu verhindern. Ein Verbot holt die Leute aus dem Unterdeck und nimmt ihnen die Werkzeuge weg. Die Löcher sind dann immer noch im Schiff – vom Wasser ganz zu schweigen. Es bleibt dann immer noch viel zu tun für die Rettung der Demokratie.

Harald Lamprecht


 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2024 ab Seite 16