Privilegierte Zeugen?

Zum Körperschaftsprozess der Zeugen Jehovas

Am 2. Dezember fand im Berliner Oberverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung im Verfahren der Zeugen Jehovas gegen den Berliner Senat im Streit um die Verleihung der Körperschaftsrechte statt. Das mit Spannung erwartete Urteil ist an diesem Tag noch nicht gefallen. Möglicherweise läuft der Ausgang des Verfahrens auf einen Vergleich im Sinn einer Körperschaft mit reduzierten Rechten hinaus. Wie dieser Aussehen könnte ist aber noch unklar, denn was bedeutet juristisch eine Körperschaft „light“? Einige Hintergrundinformationen zu dem Prozess von Dr. Andreas Fincke, EZW Berlin.

Im Frühsommer hatte das Oberverwaltungsgericht der Religionsgemeinschaft aufgegeben, weiteres Schrifttum zu übersenden und als Auskunftspersonen in Betracht kommende Mitglieder zu benennen; das Land Berlin war u.a. gebeten worden, für die Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ des Deutschen Bundestages erstellte Forschungsarbeiten beizubringen. Diese Anordnungen diente der Klärung der immer wieder umstrittenen Frage, ob die Religionsgemeinschaft durch ihr tatsächliches Verhalten die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter, insbesondere derjenigen von Kindern und Jugendlichen, gefährdet oder verletzt.

Die eigens von der Wachtturmgesellschaft zur Begleitung des Verfahrens eingerichtete Homepage ist unter http://www.jehovaszeugen.de zu finden. Sie wird erfahrungsgemäß (nur) im Umfeld von Terminen des Gerichts aktualisiert - Neuigkeiten sind also zu erwarten.

Über den Ausgang des Verfahrens kann nur spekuliert werden. Beobachter erwarten einen Erfolg für die Zeugen Jehovas, da diese Gemeinschaft in den letzten Jahren zahlreiche kosmetische Korrekturen an ihrem Erscheinungsbild vorgenommen hat. Weniger verfahrensrelevante Lehren wurden nicht verändert:

Unter der Überschrift „Die Religion, Kraft zum Guten oder zum Schlechten?“ hat der „Wachtturm“ der Zeugen Jehovas vom 15. Februar 2004 in einer weltweiten Auflage von immerhin 25 Mio. Exemplaren mal wieder eine Attacke gegen die Religionen schlechthin geritten. So war zu lesen, dass „viele“ in der Religion „einen überwiegend destruktiven Einfluss“ sehen, da doch religiöse Führer „Hass schüren und im Namen Gottes grausame Konflikte legitimieren“. Wie so oft verstecken sich die Autoren hinter einem schwammigen „viele“. Eine gern geübte Praxis, damit ja niemand sagen kann, der „Wachtturm“ hätte dies oder jenes behauptet, denn es werden ja nur die „vielen“ zitiert. Die Leser des „Wachtturm“ jedoch wissen, wie sie diese Sätze zu verstehen haben.

Die Vorwürfe sind nicht neu - auch wird man der Diskussion müde. War es nicht Johannes Paul II., der sich wie kein zweiter als religiöser Führer, als Staatsoberhaupt und als geistliche Autorität bis zur letzten Minute bemüht hat, den drohenden Irakkrieg zu verhindern? Gab es nicht unzählige andere religiöse Autoritäten, die gegen den drohenden Waffengang votierten? Zugegeben: Es gab auch Kriegsbefürworter unter den Christen - zumal in den USA. Man könnte also sagen: Es gab unterschiedliche Positionen, aber dennoch eine deutliche Mehrheit gegen den Waffengang.

Für den „Wachtturm“ ist die Sache hingegen ganz einfach: Die Religionen der Welt sind ein Werk Satans. „Die Religion kann gar nicht zur Lösung der Probleme der Menschheit beitragen, weil sie diese nämlich mit verursacht.“ Aber, so wird eingeschränkt: „Es stimmt ... nur zum Teil, wenn es heißt, die Religion sei Ursache aller Probleme der Menschheit. Die falsche (Hervorhebung im Original) Religion ist dafür verantwortlich“. Und die „falsche“ Religion, das ist alles, was außerhalb der Zeugen Jehovas ist. Christen sowieso, aber auch Buddhisten, Hindus, Moslems und Juden müssen sich sagen lassen: „Ja, Gott selbst fühlt sich tief beleidigt durch eine Religion, die Anlass gibt zu Zank und Streit, die wie eine Droge wirkt, die das Gewissen der Menschen abstumpft und sie in eine realitätsferne Gedankenwelt versetzt und die die Menschen engstirnig und abergläubisch sowie hass- und angsterfüllt sein lässt.“

Dr. Andreas Fincke, EZW

Was ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.)?

Der Status einer K.d.ö.R. vermittelt den korporierten Gemeinschaften besondere Befugnisse. Dazu gehört z. B. das Recht zur Erhebung von Steuern, zur Bildung besonderer Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Natur (Beamte) usw. Ferner gibt es eine Vielzahl von Einzelbegünstigungen („Privilegienbündel“). Hierzu gehören u.a. ein besonderer Vollstreckungsschutz, die Anerkennung als freier Träger nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und im Sozialhilferecht; schließlich Befreiungen und Vergünstigungen im Kosten- und Gebührenrecht sowie hinsichtlich der Steuerpflicht. Einige korporierte Religionsgemeinschaften wirken in Rundfunk- bzw. Medienräten mit.

Mit anderen Worten: Körperschaften genießen Privilegien. Ihnen sind finanzielle Vorteile eingeräumt und sie erhalten besondere Mitwirkungsrechte bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens. Schließlich haben sie einen Image-Vorteil. In Deutschland ist der Körperschaftstitel faktisch eine Art „staatliches Gütesigel“. Neben der römisch-katholischen Kirche, der jüdischen Religionsgemeinschaft und den in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammengefassten Landeskirchen besitzen auch viele kleinere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften den öffentlich-rechtlichen Status. Da die Verleihung des Titels in die Zuständigkeit der Länder fällt, sind die wenigsten der kleineren Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in allen Bundesländern als K.d.ö.R. anerkannt. Weitere Körperschaften sind ferner z. B. die Evangelisch-methodistische Kirche, die Neuapostolische Kirche, die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, die Altkatholische Kirche, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten), die Christengemeinschaft, die Christliche Wissenschaft, der Bund freireligiöser Gemeinden, die Deutschen Unitarier, die Mormonen usw.

Andreas Fincke

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2004 ab Seite 04