Gabriele und die Tiere

Neue Tendenzen im Universellen Leben

Die Glaubensgemeinschaft „Universelles Leben“ um die „Prophetin“ Gabriele Wittek in Würzburg und Umgebung hat trotz ihres vergleichsweise kurzen Bestehens bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich.

Spiritismus

Ihren Ausgangspunkt hatte die Bewegung Mitte der 1970er Jahre in einem spiritistischen Zirkel, in dem die Gründerin Gabriele Wittek Trost und Beistand wegen des von ihr nur schwer überwundenen Todes ihrer Mutter suchte. In diesem Umfeld geschah es, dass sie zum ersten Mal das „Innere Wort“ in sich vernahm. Zunächst sprach der „Geistlehrer Emanuel“ durch sie, später jedoch meinte Frau Wittek, dass kein geringerer als Jesus Christus selbst sich durch sie in der heutigen Zeit erneut offenbaren wolle. Dies war der Beginn des „Heimholungswerkes Jesu Christi“. In dieser frühen Phase nahmen komplexe kosmologische Spekulationen zur Welterklärung (wie sie in spiritistischen Kreisen nicht unüblich sind) im Rahmen eines mit modernen esoterischen Versatzstücken angereicherten neugnostischen Systems relativ breiten Raum in den Kundgaben ein. Gepaart war dies von Anfang an mit einer dem Universellen Leben eigentümlichen vehementen und heftigen Kirchenkritik. Diese resultierte einerseits aus verallgemeinerten persönlichen schlechten Eindrücken und Erfahrungen von Frau Wittek während ihrer katholischen Erziehung, andererseits aus der Ablehnung des Anspruchs von Frau Wittek, Sprachrohr Christi zu sein, durch die Kirchen.

Wirtschaft

1984 begannen mit dem Eintritt einiger Personen aus dem Wirtschaftsleben die umfangreichen wirtschaftlichen Aktivitäten des Universellen Lebens. Die bisherige Arbeit der „Seelenrettung“ im „Heimholungswerk“ bildete fortan den einen Teil der Arbeit, der andere bestand in der Gründung von sog. „Christusbetrieben“ zum Aufbau eines irdischen Gemeinwesens nach den durch Gabriele/Christus neu geoffenbarten Gesetzen.

Ziel war eine möglichst große Unabhängigkeit der Anhänger von äußeren Versorgern: Möglichst alle Gewerke und notwendigen Dienstleistungen sollten mit einem Christusbetrieb vertreten sein. Dahinter standen auch Vorstellungen von Weltuntergangsszenarien, die nur die Anhänger überleben würden. Faktisch führten die damit verbundenen geschlossenen Ansiedlungen von Anhängern in Hettstett und Marktheidenfeld zu einer weiteren Ausgrenzung aus der Gesellschaft.

Diese starke wirtschaftliche Aktivität hat dem Universellen Leben viel Kritik eingebracht, stellt sie doch durch die damit verbundenen finanziellen Begehrlichkeiten die Echtheit des ursprünglich geistlichen Anliegens in Zweifel.

Urchristentum

In den 90er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der öffentlichen Aktivitäten hin zu einer stärkeren Identifizierung der eigenen Gemeinschaft mit dem Urchristentum. Die esoterischen und ufologischen Spekulationen der Frühzeit wurden zwar nie aufgegeben und stehen in den Büchern und in den Köpfen nach wie vor als „göttliche“ Offenbarungen im Hintergrund, sie wurden aber nicht mehr aktiv propagiert. Immer öfter konnte man die Selbstbezeichnung als „Urchristen“ lesen, und die in dieser Zeit erschienenen Schriften des Universellen Lebens enthalten eine gewisse Konsolidierung der Lehre in Verarbeitung esoterisch-apokrypher Evangelienharmonien. Die Würzburger Gemeinde hatte als Zentrum der Bewegung eine herausragende Stellung als „Bundgemeinde Neues Jerusalem“.

Tierschutz

Zur Jahrtausendwende hat sich nun eine erneute Schwerpunktverschiebung ergeben, die offenbar mit heftigen inneren Auseinandersetzungen einherging. Ohne den Anspruch auf Verwirklichung urchristlichen Lebens aufzugeben, hat die Beschäftigung mit den Tieren und die religiös überhöhte Anteilnahme an ihrem Schicksal einen immer stärkeren Raum eingenommen. Sichtbar ist diese neue Ausrichtung und der damit z. T. verbundene Bruch mit der eigenen Vergangenheit in der neuen Zeitschrift „Das Friedensreich“, die zum Jahresbeginn 2001 die vorherige Wochenzeitung „Das Weiße Pferd“ abgelöst hat. In dieser neuen Zeitschrift handelten nicht nur bislang etwa 80% der Beiträge von Belangen des Tierschutzes, Naturwesen, vegetarischer Ernährung etc., ihr Herausgeber ist auch eine andere (Unter-)Organisation: die „Gabriele–Stiftung. Das saamlinische Werk der Nächstenliebe an Natur und Tieren“, als deren Stiftungszweck angegeben wird, „für die Tiere einen Lebensraum zu schaffen, in dem sie ein Leben führen können, das freier Gottesgeschöpfe würdig ist.“

Abrechnung

Die erste Nummer der Zeitschrift enthielt ein dreiseitiges (!) Editorial, in dem Gabriele Wittek schwere Vorwürfe gegen ihre Glaubensfreunde erhob. Im Zusammenhang mit finanziellen Schwierigkeiten mancher der „Christusbetriebe“ äußerte sie: „… ich bezeichne sie bewusst als sogenannte Urchristen, denn so mancher erwies sich vielmehr als Unchrist, der es auf sein Gewissen nahm, das Werk des Herrn nicht nur zu belasten, sondern auch zu schädigen.“ Ihnen wurde „Besserwisserei“ und „fachliche Inkompetenz“ vorgeworfen. „So schädigten die zersetzenden, trennenden Gedanken und Worte über die Fehler und die vermeintlichen Fehler anderer das Gemeindeleben, denn sie lösten bei vielen weiteren Gemeindegliedern Unzufriedenheit, abträgliche Gedanken und Vorwurfshaltung aus. … Etliche bezeichneten sich wohl als Christusfreunde, doch ging die Freundschaft nicht so weit, dass sie Seine Lehre wirklich angenommen hätten. … Die meisten [!] Menschen in der gegründeten Bundgemeinde Neues Jerusalem sprechen wohl von dem, was geschehen soll, doch sie selbst sind nicht unter denen, die sich voll dafür einsetzen, damit es geschehen kann.“ Am Ende ihrer Ausführungen heißt es: „Ich habe unsagbar gelitten unter meinen Brüdern und Schwestern, die Jesus, den Christus, durch ihr Verhalten immer wieder ans Kreuz nagelten. Ich danke Gott, dass einige wenige [!] übriggeblieben sind, die Seinen Willen erkennen. … Viele sind berufen, wenige sind auserwählt.“ Dies sind starke Worte und man kann nur erahnen, welch heftige Auseinandersetzungen zwischen Frau Wittek und der Bundgemeinde in Würzburg stattgefunden haben, wenn sie einen solchen öffentlich vernehmbaren Nachhall fanden. Darin zeichnet sich eine weitere Radikalisierung ab: Der Kreis der Getreuen wird verkleinert. Von denjenigen, die dazu gehören möchten, werden höhere Treue und Ergebenheit sowie mehr Engagement für die gemeinsame Sache gefordert. Frau Wittek kritisierte: „So mancher Bruder und manche Schwester gaben ihr Geld nur als Darlehn.“ Dies scheint nun nicht mehr auszureichen.

Neue Offenbarung

Ganz auf der Linie der neuen Ausrichtung auf die Tierwelt liegt eine neue Offenbarung, die Gabriele Wittek am 27. Februar 2001 von Gott empfangen haben will und die zu einem erneuerten Verhältnis zu den Tieren aufruft. Der Text wurde zunächst in Abschriften u. a. auch in Chemnitz verbreitet, dann in der aktuellen Ausgabe der „Friedensreiches“ (Nr. 4/2001) abgedruckt und ist im Kasten wiedergegeben.

Frau Wittek artikuliert in ihrer Botschaft z. T. Forderungen, für die sich ökologisch denkende Menschen bereits seit Jahrzehnten einsetzen. Freilich erscheinen sie angesichts der gegenwärtigen Fleischkrise besonders dringlich. In der vorgetragenen Art ist die Botschaft aber nicht nur ein Appell zu ökologisch verantwortlichem Handeln, sondern enthält mit ihrem prophetischen Anspruch („Meine Worte“) die Forderung zur Anerkennung der Lehre des Universellen Lebens. Problematisch ist die Koppelung dieser Forderung mit angsterzeugenden apokalyptischen Drohungen wie der Ankündigung weltweiter Katastrophen und Seuchen, die „die Menschheit zu Hunderttausenden hinwegraffen“.

Gemeinsam mit dem Universellen Leben sollten auch Christen ihre Verantwortung für die Schöpfung ernst nehmen. Das bedeutet aber nicht, dass man aktuelle Krisen derart für die eigene Propaganda ausschlachten darf.

Harald Lamprecht 3/2001

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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