Ikone Flucht nach Ägypten
Flucht nach Ägypten (Fresko in der neuen koptischen Kathedrale Kairo)

Kirche & Politik: Migration

Fragen und Antworten zu Flucht und Asyl aus kirchlicher Sicht

Warum setzt sich die evangelische Kirche für Unterstützung für geflüchtete Menschen ein?

Das Matthäusevangelium berichtet davon, dass Jesus und seine Eltern selbst auf der Flucht waren. Von Jesus wird die Liebe zu Gott und zum Nächsten als Kern der biblischen Botschaft beschrieben. Diese Nächstenliebe zeigt sich in praktischer Hilfe für diejenigen, die unsere Hilfe nötig haben und denen wir damit zum Nächsten werden können, wie das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter zeigt (Lk 10). Im Matthäusevangelium wird deutlich, dass sich die Gottesliebe zentral im Handeln an den Mitmenschen manifestiert und Jesus auch in dem Fremdling begegnet, der aufgenommen wird (Mt 28). 

Wie viele Migranten gibt es?

Aktuell zählt UNHCR weltweit mehr als 70 Mio. Menschen auf der Flucht. 

„Zehn Schlüsselfakten, die Sie kennen sollten:

  • KINDER – Jeder zweite Flüchtling ist ein Kind (jünger als 18 Jahre). 111 000 von ihnen sind von ihren Familien getrennt.
  • ALLTAG – Alle zwei Sekunden wird ein Mensch vertrieben. Das sind 37 000 Menschen pro Tag.
  • URBANITÄT – Flüchtlinge leben deutlich öfter (61 Prozent) in Städten als auf dem Land.
  • REICH & ARM – Reiche Länder haben im Schnitt 2,7 Flüchtlinge pro 1000 Einwohner aufgenommen, mittlere und arme Länder 5,8 Flüchtlinge pro 1000 Bewohner. Die ärmsten Länder der Erde beherbergen ein Drittel der Flüchtlinge weltweit.
  • NACHBARN – Etwa 80 Prozent der Flüchtlinge haben in einem direkten Nachbarland Schutz gefunden.
  • KLEINKINDER – Uganda meldet 2800 geflüchtete Kinder, die jünger als sechs Jahre alt und allein, von ihren Eltern getrennt, sind.
  • DAUER – Vier von fünf Flüchtlingen kommen aus Konflikten, die schon mindestens fünf Jahre andauern. Bei jedem fünften sind es sogar 20 Jahre – oder mehr.
  • NEUE ASYLSUCHENDE – Die größte Zahl der neuen Asylbewerber kam im Jahr 2018 aus Venezuela: 341800
  • ANTEIL – Jeder 108. Mensch auf der Erde ist auf der Flucht. Vor zehn Jahren war es jeder 160.
  • EUROPÄISCHE UNION – Kommen alle nach Europa? 91 Prozent aller Flüchtlinge leben nicht in der EU.“5

Warum gibt es das Recht auf Asyl?

Weil es im Grundgesetz garantiert wird (Art. 16a). Das deutsche Asylrecht wurde im Mai 1949 vor dem Hintergrund der Fluchtgeschehnisse während des Naziregimes im Grundgesetz formuliert: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ 

Golda Meir war 1938 Beobachterin der Konferenz von Évian, auf der Staatenvertreter zusammenkamen, um Lösungen für die damalige Situation mit Hunderttausenden Flüchtlingen zu finden. Sie beschreibt es so: „Dazusitzen, in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von 32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie eine größere Zahl Flüchtlinge aufnehmen würden und wie schrecklich leid es ihnen tue, dass sie das leider nicht tun könnten, war eine erschütternde Erfahrung. [...] Ich hatte Lust, aufzustehen und sie alle anzuschreien: Wisst Ihr denn nicht, dass diese verdammten ‚Zahlen‘ menschliche Wesen sind?“6 

Aufgrund internationaler Verträge (u.a. Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Menschenrechtskonvention) entwickelte sich später ein mehrschichtiges Schutzsystem für verfolgte Menschen. Asylrecht und Flüchtlingsschutz sind aus christlicher Sicht unaufgebbar.

Was ist Migration?

Seit es die Menschheit gibt, gehen Menschen von einem zum anderen Ort und wechseln ihren Lebensmittelpunkt. Migration und deren Wirkungen sind komplizierte Sachverhalte. 

Migration ist eine Grundbedingung menschlicher Entwicklung. Das gilt schon seit der Vor- und Frühgeschichte. Der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet, gleichgültig, ob seine Nachfahren später zum Beispiel Christen, Buddhisten, Juden, Muslime, Hindus oder Atheisten wurden.7

Die Normalität von Migrationsgeschehen wird präsent, wenn man sich allgemein gebräuchliche Bezeichnungen für Migranten vor Augen führt: Ausländer, Asylbewerber, Spätaussiedler, Gastarbeiter, Vertragsarbeiter [der ehemaligen DDR], Saisonarbeiter, ausländische Studierende, Ehepartner von Deutschen, EU-Bürger [Freizügigkeitsberechtigte], Au-Pair, ausländische Spezialisten, Hochschullehrer, Unternehmer und Investoren, Kriegs-und Bürgerkriegsflüchtlinge, Klimaflüchtlinge u.a.

Was sind Ursachen für Migration?

Kaum jemand verlässt ohne Not seine Heimat, seine Verwandten, sein Hab und Gut, um irgendwo anders sich in eine ungewisse Zukunft zu begeben. Diese Not kann schnell auftreten und lebensbedrohlich sein, z.B. ausgelöst durch Kriegs- und Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung. Dann reagieren Menschen mit Flucht. Migration kann auch längerfristig aus Perspektivlosigkeit und wirtschaftlicher Abgeschlagenheit bestehen. Dann wandern Menschen in andere Regionen innerhalb ihres Landes oder in andere Länder. 

Ist es nicht sinnvoller, die Fluchtursachen zu bekämpfen, als so viel Geld in Flüchtlingshilfe zu stecken?

Das eine schließt das andere nicht aus. Unbestrittene Tatsache ist, dass gerechte und lebenswerte Verhältnisse überall in der Welt das vordringliche Ziel und die beste Lösung sind. Wo niemand aus Angst oder Perspektivlosigkeit seine Heimat verlassen muss, gibt es auch kein Flüchtlingsproblem. Die Kirchen haben auf vielen Ebenen, vom Ökumenischen Rat der Kirchen bis zu kirchlichen Basisgruppen, immer wieder nachdrücklich Fragen der globalen Gerechtigkeit thematisiert. 

Weil aber die Fluchtursachen nicht beseitigt sind, gibt es viele Menschen, die auf der Flucht und der Suche für eine Chance auf ein lebenswertes Leben sind. Christen, die das Evangelium ernst nehmen, kann das Schicksal dieser Menschen nicht gleichgültig sein.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte begründet in Artikel 13 (Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit):

  1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. 
  2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Wie Staaten damit umgehen, muss jeweils politisch ausgehandelt und praktisch gestaltet werden. 

Ergänzende Texte und Links zu diesem Themenfeld: 

  • Migration menschenwürdig gestalten. Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, DBK/EKD Gemeinsame Texte 27, 21.10.2021

    www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/migration_ekd_dbk_2021.pdf

  • Flüchtlinge in Sachsen … und was Kirchgemeinden tun können. Handreichung, Dresden 2014 

    engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/E._Materialien/PDF_Materialien/HandreichungFluechtlingeEVLKS.pdf

  • Neue Nachbarn. Impulse für diakonisches Handeln bei der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Handreichung der Diakonie Sachsen, 2014 

    engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/E._Materialien/PDF_Materialien/NeueNachbarn.pdf

  • Fragen und Antworten zur Einwanderungsgesellschaft 

    mediendienst-integration.de

  • Material zu Flucht und Asyl

    www.proasyl.de/ 

  • Material usw. für politische Bildung
    https://www.bpb.de/themen/migration-integration/

 

Anmerkungen

 

 

5 www.unhcr.org/dach/de/31634-weltweit-erstmals-mehr-als-70-millionen-menschen-auf-der-flucht.html

6 zitiert nach: Geschlossene Grenzen - Die Internationale Flüchtlingskonferenz von Évian 1938, [Ausstellungskatalog]. - Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin; Gedenkstätte Deutscher Widerstand (2018) S. 5.

7 vgl. Bade, K. (2017). Migration Flucht Integration - Kritische Politikbegleitung von der ‚Gastarbeiterfrage‘ bis zur ‚Flüchtlingskrise‘, Osnabrück, S. 13.

 

 

Albrecht Engelmann

ist Ausländerbeauftragter der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens.

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