ZJ-Bibelausstellung Eingangsplakat

Viel Jehova, kein Harmagedon

Bibelausstellung von Jehovas Zeugen in Dresden

Der Königreichsaal von Jehovas Zeugen im Dresdner Südosten liegt an einer einsamen Industriebrache. Hier kommt niemand rein zufällig vorbei. Zwei größere Versammlungsräume gibt es in dem L-förmigen Bau. In einem von diesem fanden im November aber nicht die üblichen regelmäßigen Veranstaltungen statt, denn er beherbergte etwas Besonderes: eine Bibelausstellung. Bevor die Ausstellung nach Dresden kam, war sie in anderen Städten bereits gezeigt worden.

Montags kurz nach Mittag ist im säkularisierten Osten für eine abgelegene Ausstellung von alten Bibeln kein großer Besucheransturm zu erwarten. Um so erstaunlicher war der Empfang durch zahlreiches dienstbeflissenes Personal - Begrüßer, Einweiser, Garderobenfrau und Tablet-Computer-bestückte persönliche Führerin durch alle Details der Ausstellung. Insgesamt - so erfahren wir später - sind mehr als 90 Helfer zur Betreuung der Ausstellung eingeteilt. Wir sind auch bei weitem nicht die einzigen Besucher, allerdings die einzigen, die keine Zeugen Jehovas sind.

Als mein Begleiter sich als Journalist der Lokalzeitung zu erkennen gibt, sorgt das zunächst für einige Verwirrung – er sei gar nicht angemeldet und der Pressesprecher momentan nicht da. Dieser wurde eilends herbeigerufen und wir durften zwischenzeitlich eine normale Führung mit einer engagierten jungen Frau erleben, die die erläuternden Begleittexte von ihrem Tablet schon gut gelernt hatte.

Rote Kringel

Am Anfang der Ausstellung stehen mittelalterliche Prachtbibeln - kunstvoll handgeschriebene und z.T. illustrierte Exemplare wie z.B. ein Reprint einer vom böhmischen König Wenzel Ende des 14. Jahrhunderts - also noch vor der Reformation in Auftrag gegebenen deutschsprachigen Bibel. Schon in der dritten Vitrine beginnt eine Besonderheit, die sich wie ein roter Faden durch den historischen Teil der Ausstellung zieht: Bevorzugt wurden Seiten aufgeschlagen, in denen der Gottesname in der früher üblichen (ver-)schreibweise als Jehova gedruckt ist. Diese Stellen sind dann jeweils mit einer aufgelegten Folie rot eingekringelt.

Der Sinn der Sache wird schnell deutlich: Es geht um eine Legitimation einer Sonderlehre aus alten Quellen und um eine Normalisierung: Jehovas Zeugen legen Wert darauf, dass Gott einen Namen habe und mit seinem Namen angeredet werden solle - und dieser Name sei Jehova. Die Ausstellung soll zeigen: Seht, wir sind gar nicht so absurd und den Begriff Jehova haben wir uns nicht ausgedacht, sondern der war (d.h.: ist) früher (d.h.: immer noch) gebräuchlich und ganz normal.

Mit dieser Sache sind sie aber einem historischen Irrtum aufgesessen (vgl. Kasten). Zur Zeit der Entstehung der Zeugen Jehovas waren diese Zusammenhänge noch nicht so bekannt und die Verwendung von Jehova als Gottesbezeichnung auch im kirchlichen Bereich weithin üblich – wovon auch einige Bibelausgaben Zeugnis ablegen können. Diese Vorkommnisse hervorzuheben, zeugt hingegen von einem seltsamen Anachronismus, der sich aktuellen Erkenntnissen verschließt, weil die Vorgaben der Tradition zu stark sind. Merkwürdigerweise werden diese sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse sogar gut anschaulich aufbereitet in der Ausstellung gezeigt. Es fehlt lediglich die logische Konsequenz aus der Erkenntnis der Zusammenhänge. Das führt im Detail zu kurios anmutenden Beiträgen. So wurden in einer Lutherbibel, wo das Vorkommen des hebräischen Gottesnames im Text wie üblich durch das in Großbuchstaben geschriebene Wort HERR kenntlich gemacht wird, plötzlich kleingedruckte redaktionelle Zwischenüberschriften oder Kommentartexte eingekringelt, in denen „Jehova“ verwendet wurde. Das Gleiche geschah in dieser Ausstellung mit einer jüdischen Ausgabe, in der im Haupttext der Gottesname immer mit „der Ewige“ wiedergegeben wurde. Solche Art von Beweisen, die bei genauer Betrachtung das Gegenteil von dem belegen, was sie vordergründig ausdrücken wollen, zeugen nicht von großem Zutrauen der Ausstellungsgestalter in die intellektuell-analytischen Bedürfnisse der Besucher.

Themenauswahl

Im Weiteren enthält die Ausstellung durchaus interessante Informationen wie z. B. eine Übersicht über die verschiedenen deutschen Bibelübersetzungen und ihrer konfessionellen Verankerung oder zur Verbreitung der Bibel. Manche Tafeln haben einen polemischen antikirchlichen Unterton. Auf weiteren Tafeln, die in einem Innenkreis platziert sind, werden lebenspraktische Hilfen aus der Bibel thematisiert.

Auffällig ist, dass eine Reihe der Themen, die für Jehovas Zeugen und ihre Theologie markant sind, ausgespart wurden. So kommen der Schöpfungsglaube und die Frontstellung gegen die Evolutionslehre ebensowenig vor wie die Bibeldeutungen zum Buch Daniel und zur Johannesoffenbarung. Keine Schlacht von Harmagedon, keine Termine für eine Wiederkunft Christi, keine harte Trennung vom Reich Satans. Statt dessen: nette Bilder von lachenden Kindern und Tafeln, wie die Bibel hilft, Respekt in der Familie zu lernen. Auch eine Bibelabschreibaktion gehört dazu: Besucher sind eingeladen, jeweils fortlaufend einen Bibelvers in ihrer Muttersprache in ein ausliegendes Buch (ab)zuschreiben.

Insgesamt ist diese Bibelausstellung ein In­strument der Öffentlichkeitsarbeit. Man möchte sich als nette, bibelorientierte Glaubensgemeinschaft präsentieren. Problemthemen würden da nur stören. Um Auslegungsfragen wird darum ein weiter Bogen gemacht. Es wäre ja auch viel einfacher, wenn die Bibel keine Auslegung bräuchte. Da Jehovas Zeugen auch sonst gern diesen Eindruck erzeugen, ist die Ausstellung wiederum konsequent.

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2017 ab Seite 10