Engel und Drache
Der Kampf des Engels mit dem Drachen (Anges, 14. Jh.)

Reich Gottes und das Böse

Bericht von der 3. Begegnungstagung des EB Sachsen mit Leitern freier Gemeinden (2006)

Krankheit und Heilung gehören zu den zentralen Themen in der modernen Gesellschaft. Die Pfingstbewegung ist dadurch geprägt, dass sie auch dieses Thema aufnimmt und das Gebet um Heilung aus der Kraft des Heiligen Geistes mit zu einem zentralen Anliegen macht. Diese Heilungen erfolgen in der Regel auf der Basis eines Weltbildes, das mit dem realen Wirken von Dämonen rechnet, die von Menschen Besitz ergreifen können und mit den Krankheiten in Zusammenhang stehen. Als biblischer Beleg für diesen Heilungsauftrag wird Mt. 10,8 angeführt. In manchen Kreisen bildet das exorzistische Handeln im sogenannten „Befreiungsdienst“, bei dem die Dämonen in mitunter dramatischen Gebetskämpfen aus der betroffenen Person vertrieben werden sollen, einen besonderen Schwerpunkt. Für Außenstehende ist es insbesondere die Konfrontation mit dieser Dämonologie, die oft Verwunderung und Ablehnung hervorruft. Diese Glaubensvorstellungen und Praktiken stehen aber nicht isoliert im Raum, sondern sind aufs engste mit der Vorstellung vom Reich Gottes verbunden. Das Wirken Jesu ist Zeichen des anbrechenden Gottesreiches. In seiner Gegenwart wird das Böse überwunden. Wie verstehen Christen in der Ev.-Luth. Landeskirche und in freien Gemeinden die jeweiligen biblischen Aussagen? Welche theologischen Schlüsse werden daraus gezogen? Was ergibt sich daraus für die Praxis in den Gemeinden? Diesen Fragen wurde auf der dritten Begegnungstagung des Evangelischen Bundes Sachsen zwischen Pfarrern der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Leitern freier Gemeinden in Sachsen vom 9.-11. 10. 2006 in Meißen nachgegangen.

Keine rationalistische Verkürzung

Wie ein roter Faden zog sich durch die Beiträge der Leiter der Freien Gemeinden das Anliegen, der rationalistischen Verkürzung der Wirklichkeit zu wehren, wie sie insbesondere mit dem Erbe des Theologen Rudolf Bultmann in Verbindung gebracht wird. Dessen berühmter Satz, man könne nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen und zugleich an die Wunder und Geisterwelt des Neuen Testamentes glauben, werde der Realität der Erfahrungen in afrikanischen und südamerikanischen Pfingstgemeinden in keiner Weise gerecht. Nachdrücklich wurde für die Realität einer geistigen Welt, zu der auch dämonische Mächte gehören, eingetreten. Dies war als solches aber eigentlich kein Kontroverspunkt, gehen doch die lutherischen Bekenntnisschriften von dem gleichen Sachverhalt aus. Die Mehrheit der lutherischen Pfarrer dürfte zudem nicht die Extremform eines solch trockenen Rationalismus vertreten, der keinen Sinn mehr für geistliche Wirklichkeiten hat. Schließlich ist die Entwicklung der Exegese nicht bei Bultmann und Schmithals stehen geblieben. Die Frage ist vielmehr, was sich aus einer jeweiligen Weltsicht für Konsequenzen ergeben. Bleibendes berechtigtes Anliegen eines „vernünftigen“ Blickes auf die Welt, wie wir ihn der Aufklärung verdanken, ist die Befreiung von einer Dämonisierung der Schöpfung und daraus folgenden Okkultängsten, die dazu neigen, alles Unbekannte dem Teufel in die Schuhe zu schieben. Hier konnte die Tagung zur Differenzierung beitragen.

Keine Dämonisierung der Umwelt

Auf der anderen Seite stehen Bilder und Berichte von dramatischen Exorzismen in pfingstlich geprägten Gemeinden. Als Beispiel können die immer noch viel gelesenen Schriften von Derek Prince gelten, der nahezu jede Krankheit mit dämonischen Ursprüngen erklärt und immer mehr Dämonen bei den Christen in seiner Umgebung diagnostizierte. Auch die Konzepte der geistlichen Kriegführung (Vgl. Kasten S. Das Konzept der Geistlichen Kampfführung) werden von landeskirchlicher Seite kritisch betrachtet. Hier war die Begegnung und der Erfahrungsaustausch wichtig, der gezeigt hat, dass die problematischen Exzesse aus eigener Erfahrung durchaus bekannt waren, aber im wesentlichen ein Problem der Vergangenheit darstellten. Bei den anwesenden Gemeindeleitern jedenfalls bestimmen heute deutlich gemäßigtere Formen den Alltag. Die geistliche Kriegführung wurde auch von ihnen deutlich abgelehnt und auch von den dämonologischen Vorstellungen von Derec Prince distanzierten sich die Anwesenden.

Heilung im Neuen Testament

Das Neue Testament berichtet mehr Wundergeschichten als Reden und Predigten und es gibt heute keinen ernsthaften Neutestamentler, der bestreitet, dass Jesus Exorzismen betrieben hat. Darauf wies Prof. Johannes Berthold (FH Moritzburg) zu Beginn seines Vortrages über Heilung im Neuen Testament hin. Dr. Andreas Franz (Missionsakademie Uhrsleben und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Pfingstlich-Charismatischer Missionen) illustrierte dies an statistischen Daten aus dem Neuen Testament. Für die Wunder Jesu stellte Prof. Berthold verschiedene Deutungsmodelle vor:

a) Wunder als Durchbrechung der Naturgesetze: so verstand es Thomas von Aquin, so gilt es auch in den Konzepten des Power Evangelism von John Wimber, dem Gründer der Vineyard-Bewegung. Die dabei vertretene Trennung in natürliche und übernatürliche (= göttliche) Wirkungen ist problematisch, denn das Handeln Gottes wird dadurch auf das Besondere, Außergewöhnliche konzentriert und das Normale ihm enteignet. Dahinter steht die Sehnsucht nach Gewissheit, in den Wundern Gottes Gegenwart unleugbar zu erfahren. Aber auch das größte Wunder durchbricht nicht die Mauer des Glaubens. Jedes Wunder lässt auch andere Deutungen zu.

b) Auflösung des Wunders im Kerygma: In der Theologie des vorigen Jahrhunderts gab es die Tendenz, das Wunder in seiner Bedeutung aufzulösen. Der eigentliche Wunderbericht galt nur als sprachliche Einkleidung eines Verkündigungsinhaltes (z.B. das Wunder der Sündenvergebung). Dem ist entgegenzuhalten, dass alle Geschichten in den Evangelien wahre Berichte sein wollen. Die Auflösung in die Botschaft macht das Geschehen bedeutungslos und damit die Bedeutung grundlos.

c) Richtungssinn: Insbesondere in den Wundergeschichten bei Matthäus wird deutlich, dass Wunder besondere Ereignisse sind, die zwar nicht die Naturordnung, wohl aber die normale Wirklichkeitserfahrung durchbrechen. Nicht die Naturgesetze, aber die Macht des Teufels wird gebrochen. Die wirkliche Exegese der biblischen Wundergeschichten findet im heilenden Handeln der Gemeinde statt. Dies betrifft nicht nur spektakuläre Spontanheilungen, sondern auch in Diakonie und Krankenpflege wird der Heilungsdienst Jesu fortgesetzt (Lk 10,25-37 barmherziger Samariter, Mt. 24,35ff Hilfe am Nächsten).

Die Sehnsucht nach Heilung in der modernen Kultur und die charismatische Erfahrung sind eine Herausforderung für die Kirche, die zu einer Wiederentdeckung des Wunders führen kann.

Gefahren der Wundererwartung

Allerdings verbinden sich damit auch verschiedene Gefahren. Zu nennen sind

a) die Gefahr eines Heilungsdogmas, die jede Krankheit für heilbar erklärt.

b) die Abwertung der Medizin, zu der es bei der Trennung zwischen Natürlich und Übernatürlich kommen kann. Glaubensheilung ist nie mehr wert als eine Heilung durch Operation oder Medikamente.

c) der Versuch, Zeichen und Wunder zur evangelistischen Methode zu machen. Die Apostel haben Heilungen nicht instrumentalisiert, sie werden im Neuen Testament nie zum missionarischen Konzept, sondern bleiben immer an der Not des betroffenen Menschen orientiert.

d) der (falsche) Grundsatz: „Wer heilt, hat Recht.“ Jesus ist nicht einfach ein Schamane, der besondere Kräfte hat.

Das anbrechende Gottesreich

Für die pfingstkirchliche Sicht ist wesentlich, dass unsere gefallene Welt von der Herrschaft der Finsternis gekennzeichnet ist. Wo aber Jesus herrscht, muss das Reich der Finsternis weichen. In einer offiziellen Stellungnahme der ACPM, die Dr. Franz vorstellte, wird dargestellt, dass das Reich Gottes zunächst nur zeichenhaft sichtbar wird. Nicht alle Dämonen werden vertrieben, nicht alle Kranken geheilt. Endgültiges bleibt dem wiedergekommenen Herrn vorbehalten. Gnadengaben - auch die Gabe der Heilung -werden nur einzelnen Gemeindegliedern zuteil. Auch gibt es spezielle Begabungen zur Heilung spezifischer Krankheiten. Das Heilungsgebet wird allerdings als Aufgabe der Ältesten (Jak 5,14.16) und der ganzen Gemeinde verstanden (Mk 16,17). Für eine Heilung ist Sündenvergebung wichtig (Mk 2,5; Joh 5,14), aber nicht jede Krankheit ist durch Sünde bedingt und nicht jede Sünde führt zu Krankheit. Wenn keine Heilung eintritt, muss dies darum nicht zwangsläufig an verborgener Sünde liegen, weder beim Heiler, noch beim Kranken. Mehrfach wird Heilung aufgrund des Glaubens zugesprochen, wobei auffälligerweise auch der Glaube der Begleitpersonen gemeint sein kann, während Jesus in Nazareth aufgrund des dortigen Unglaubens nicht heilen Konnte (Mk 6,5). Allerdings ist zwischen dem Heilungsglauben und dem rettenden Glauben zu unterscheiden. Krank gebliebene können ebenso für andere Beten und Gott verherrlichen wie gesund gewordene Menschen.

Die biblische Sicht auf das Böse

Vier biblische Grundeinsichten über das Böse stellte Prof. Berthold in seinem einführenden Referat vor:

1. Vom Bösen wird nie so geredet, dass die Macht Gottes in Frage gestellt wird. Israels Monotheismus ist so radikal, dass auch das Böse nicht außerhalb von Gott verortet wird (vgl. Jes 45,7: Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der das Heil wirkt und das Unheil schafft.) Das Unheil ist aber kein innergöttliches Prinzip, sondern wird mit Gottes Gericht oder Zorn begründet und steht im Kontrast zu Gottes unbedingtem Heilswillen.

2. Vom Bösen wird nie so geredet, dass der Mensch seiner Verantwortung enthoben wird. Die Kette von Sündenfallberichten in Gen 2-11 schildert das Böse als Schuld des Menschen. Es resultiert aus dem Missbrauch seiner Freiheit. Das Böse kommt dabei nicht brutal und schwarz daher, sondern zuerst als Versuchung des Geistes: Sein zu wollen, wie Gott, Gott nicht mehr nötig zu haben. Die Wurzel des Bösen ist nicht Mord oder Ehebruch, sondern der Hochmut (vgl. Gen 11). Dieser kann sich subtil in die Frömmigkeit, sogar bis in die Demut schleichen („An Demut übertrifft mich keiner.“)

3. Das Alte Testament erkennt das Böse als eigene personale Realität (besonders in den Spätschriften). In Gen 3 tritt die Versuchung in Gestalt der Schlange von außen an den Menschen. Seinem Wesen nach ist das Böse dennoch keine Macht an sich, sondern ein Parasit am Guten. Niemand tut Böses um des Bösen willen, selbst im 3. Reich wurde der Holocaust als ein gutes Werk euphemisiert. Dem Bösen sind die Kräfte seiner Existenz vom Guten gegeben. Das wird in der Redeweise vom gefallenen Engel Luzifer ausgedrückt. Bei der Einführung einer stärker personalen Wirklichkeit des Bösen können persische Einflüsse eine Rolle gespielt haben. Das Neue Testament übernimmt jedoch nicht die Breite der Dämonologie, wie sie in anderen Spätschriften und der Apokalyptik bestehen.

4. Das Böse wird durch die Kraft der Liebe überwunden. Die Erlösung von dem Bösen kommt aus der Gottesliebe. Diese Liebe ist in Christus inkarniert. Er gilt als der 2. Adam und stellt die ursprüngliche Berufung des Menschen wieder her. Die Zerstörung des Bösen am Kreuz ist scheinbar eine Niederlage der Liebe, wird aber zum sichtbaren Zeichen der Erlösung von allem Bösen (Phil. 2).

Geistliche Kriegführung und Befreiungsdienst

In seinem Referat über die Chancen und Grenzen von Befreiungsdienst und geistlicher Kriegführung beklagte Dr. Franz von der Missionsakademie Uhrsleben, dass manche liberale Theologen noch einem rationalistischen Weltbild verpflichtet seien, während die Wissenschaftstheorie inzwischen längst einen Vorzeichenwechsel vollzogen hat. Das lässt sie dem Okkultismusboom hilflos gegenüber stehen. Auch in den Missionsgebieten können sie schlechter auf die Probleme der Naturvölker mit einem animistischen Weltbild eingehen, obwohl dieses mit dem biblischen Weltbild manche Parallele hat. Im Hinblick auf die innere Vielfalt pfingstlich-charismatischer Hermeneutik sah Dr. Franz in dem dichotomischen Weltbild eine zentrale Gemeinsamkeit.

Das Konzept der Geistlichen Kampfführung
 

Die Vertreter der geistlichen Kampfführung gehen von folgenden Vorstellungen aus:

1. Satan ist der Herrscher dieser Welt. Assistiert wird er von Dämonen, die bestimmte territoriale Bereiche kontrollieren (Länder - Städte - Ortsteile)

2. Alle geistlichen Leiter eines Gebietes sollten sich vor dem Kampf zusammenfinden, ihr Leben heiligen und sich bußfertig auf die Einnahme der Regionen vorbereiten.

3. Soll das Evangelium Eingang finden, müssen die Geister zuvor gebunden werden. Beim „spiritual mapping“ werden geistliche Landkarten entworfen, in denen geografische Bereiche entsprechenden Mächten zugeordnet werden, die z.B. aus der Stadtgeschichte erforscht wurden und historisch oder funktional möglichst konkret benannt werden („Tod“, „Zwietracht“, „Religiosität“ etc.)

4. Die Macht der Dämonen soll durch beten und fasten sowie gebietendes Gebet gegen die identifizierten Mächte gebrochen werden. Dies kann Stunden oder auch Wochen dauern.

5. Wenn der Sieg errungen ist, kann das Evangelium besonders wirkungsvoll verkündigt werden.

6. Diese Tätigkeit kann durch Versöhnungsarbeit zwischen Völkermächten unterstützt werden, indem sich Vertreter verschiedener Völker zusammensetzen und in einem stellvertretenden Akt Versöhnung aussprechen. Dies schwäche die finstern Herrscher und könne auch tatsächliche Versöhnung auf politischer Ebene vorbereiten.
 

 


Prominentester Vertreter des Konzeptes der geistlichen Kampfführung (Details siehe Kasten) ist C. Peter Wagner, während W. Kopfermann sich dagegen gewendet hatte. Als biblische Hinweise zur Rechtfertigung dieser Konzepte werden angegeben: Dan 10,20: die Erwähnung eines Engelfürsten des Perserreiches, Mt. 4 Jesus mit Satan in der Wüste, Mt, 18,17: Bindegewalt für die Jünger, Lk 11,22: die Bindung des Starken, Mk5, 10: Die Geister des Geraseners wollen in der Gegend bleiben, Apg. 10: Artemis von Ephesus wird als Territorialmacht gedeutet. Die Vertreter des Konzeptes geben zu, dass die biblische Begründung schwach ist, aber in der Bibel stehe auch nichts über Atomkraft und Gentechnik, dennoch seien sie real.

Neben den offensiven Gebetskämpfern (Margies, Fritsch, Häselbarth) und ihren Kritikern (vor allem Kopfermann) stehen moderate Vertreter des Konzeptes (John Wimber, Rust), die sich nicht dazu berufen fühlen, sich aber auch nicht dagegen aussprechen und die evangelistische Zielrichtung befürworten.

Im Blick auf den Befreiungsdienst wird von 4 Stufen des dämonischen Einflusses gesprochen, unter den eine Person geraten kann:

a) Stufe der Versuchung

b) Bedrängung

c) Umsessenheit

d) Besessenheit: Das Personzentrum wird besetzt.

Es ist auch innerhalb der Pfingstbewegung umstritten, ob Christen ebenso dämonisiert werden können, wie sie Krebs bekommen können. Einige schließen es generell aus, andere halten eine Bedrängung und Umsessenheit für möglich.

Als Chance bezeichnete Dr. Franz die Korrektur der Engführung der Aufklärung im Weltbild, die wieder mit der 2/3-Welt dialogfähig mache. Als Problem und bleibende Herausforderung nannte er die Unterscheidung in der Diagnose: geistlich - seelisch - dämonisch?

Ein Gemeindeleiter berichtete, dass er bei seiner Bekehrung mit 14 auch der Meinung gewesen war, dass jeder Mensch, für den gebetet würde, auch geheilt werden müsse. Für den Fall des Misserfolges gab es Listen dafür, was die Heilung behindert haben könnte: mangelnder Glaube, falsche Methodik, „okkulte Belastung“ etc. Solches sei aber in seiner gegenwärtigen Gemeinde nicht mehr üblich.

Befreiungsdienst aus medizinisch-psychiatrischer Sicht

Der Leiter der Kraftwerksgemeinde Karsten Wolff, der im Hauptberuf Arzt ist und sich in Facharztweiterbildung Psychiatrie und Psychotherapie befindet, schilderte aus fachlicher Sicht und anhand von Fallbeispielen die Schwierigkeiten bei der Diagnostik und Unterscheidung von psychischen Erkrankungen und dämonischen Einflussnahmen. Generell sollte bei ernsthaften psychischen Problemen immer eine medizinische Abklärung erfolgen. Bei seelischen Störungen mit körperlichen Ursachen (z.B. Stoffwechselstörungen oder drogeninduzierten Psychosen) wäre ein Befreiungsdienst fehl am Platz. Persönlichkeitsstörungen kann man ebensowenig austreiben wie die bei einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) auftretenden multiplen Persönlichkeiten. Diese mit Exorzismus zu behandeln, wäre ein medizinischer und ebenso seelsorgerlicher Kunstfehler. Allerdings können nicht alle religiösen Fremdbeeinflussungsphänomene vorschnell als religiöser Wahn oder als schizophren bedingt abgetan werden. Hinweise auf dämonische Beeinflussung können z.B. Blockaden im geistlichen Leben, destruktive und aggressive Tendenzen wie Stimmenhören mit der Aufforderung, sich oder andere umzubringen und selbstverletzendes Verhalten sein, besonders, wenn es im Umfeld okkulter Praktiken auftritt. Andererseits gibt es auch Krankheitsbilder, bei denen die Psychiatrie hilflos ist, weil die Ursachen bis heute noch nicht abschließend geklärt bzw. die Behandlungserfolge teilweise unbefriedigend sind. Ein Beleg dafür ist z.B. der deutliche Anstieg der Chronifizierungsrate bei schizophrenen Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten trotz Einführung der Neuroleptika. Von atheistisch geprägten Ärzten werden spirituelle Realitäten als mitverursachend für die Entstehung und Unterhaltung psychischer Erkrankungen mit Berufung auf „wissenschaftliche Beweise“ in der Regel kategorisch ausgeschlossen. Dies ist jedoch meist eher bedingt durch das persönliche agnostische Weltbild als durch objektive Interpretation der Forschungsergebnisse selbst. Eine generelle undifferenzierte Dämonisierung psychischer Erkrankungen ist darum genauso falsch und für die Patienten oft genauso wenig hilfreich wie eine Wegrationalisierung aller transzendenten Phänomene als pathologische Formen. Insgesamt ist die Theologie stärker gefordert, das Feld der psychischen Erkrankungen nicht nur Behandlern mit areligiösem Weltbild zu überlassen. Der Gemeindealltag braucht einen multiprofessionellen Dienst, in dem fachliche Kompetenz nicht gegen Glaubenspraxis ausgespielt wird.

Fazit

Als wichtigstes Ergebnis der Tagung lässt sich festhalten, dass die Gegensätze in den Auffassungen zwischen den Teilnehmern weit weniger tief waren, als man das zunächst vermuten konnte. Es bleiben verschiedene Akzentsetzungen und Schwerpunktbildungen, aber kaum unversöhnliche Gegensätze. So zeigte sich in den Gesprächen, dass beide Seiten in der Gefahr stehen, in der Vergangenheit liegende reale Erfahrungen von Verhalten, das dem Evangelium widerspricht, zu allgemeinen Feindbildern auszugestalten und dadurch die Veränderungen in der Gegenwart nicht mehr genügend wahrzunehmen. Dem lässt sich nur durch Begegnung und Gespräch entgegenwirken.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2007 ab Seite 05