Filderklinik in Pastell

Angeschaut: Ein Tag in einer anthroposophischen Klinik (WDR 19.9.2006)

Die Sendereihe des WDR „Ein Tag in...“ führt die Fernsehzuschauer an verschiedene Orte, die sie sonst nicht ohne weiteres kennenlernen würden und gewährt Innenansichten ohne die sonst üblichen Probleme der Kontaktaufnahme. In der Sendung am 19. September 2006 wurde die anthroposophische Filderklinik bei Stuttgart vorgestellt.

Die Filderklinik

Seit 1975 in Betrieb gehört sie zu den wichtigsten Einrichtungen anthroposophischer Medizin in Deutschland und ist schon als Bauwerk mit ihrer eigentümlichen Architektur als anthroposophische Einrichtung zu erkennen. Der Rundgang führte vom Tod zum Leben: er begann mit den pastellfarben ausgemalten Aufbahrungsräumen, in denen man einen ätherischen Christus von den Wänden schimmernd ahnen konnte und führte durch Intensivmedizin und Psychosomatik zur Neugeborenenstation. Im Ergebnis bleibt ein zwiespältiges Bild:

Auch nicht anders

Einerseits zeigten die Bilder und Gespräche, dass die anthroposophische Klinik trotz ihres viel beworbenen „ganzheitlichen“ Ansatzes auch nicht aus den Zwängen dieser Welt heraus kann. Die Intensivmedizin betreibt die selben Geräte, auch dort kleben Frühgeborenen Elektroden am Körper. Auch der Frauenarzt muss auf Nachfrage zugestehen, dass eine individuelle Betreuung bei dem hohen Patientendurchlauf in dieser großen Klinik an ihre Grenzen stößt und verweist auf die besondere Motivation der Mitarbeiter. Dass man durch Vorhänge und farbliche Gestaltung die notwendige Technik verstecken und eine freundlichere Atmosphäre erzeugen will, ist in anderen Kliniken ebenso Praxis und keine Besonderheit.

Zurückhaltende Erklärungen

Andererseits zeigten die Bilder auch einige der anthroposophischen Besonderheiten wie z.B. eine Leier zupfende Musiktherapeutin auf der Intensivstation, um das Aufwachen aus der Narkose zu begleiten, Menschen die in der Kunsttherapie „Seelenbilder“ malen, die Erwähnung der Misteltherapie in der Krebsbehandlung oder die Anwendung klassischer Hausmittel wie Bäder und verschiedene Wickel oder die entfernt an Ausdruckstanz erinnernde „Heileurythmie“. Auffällig war dabei vor allem, wie zurückhaltend das Personal mit spezifisch anthroposophischen Erklärungen war. Auch auf gezielte Fragen von Moderator Andreas Malessa wurde durchweg sehr allgemein und vorsichtig geantwortet. Es war zu spüren, wie die Mitarbeiter sich bemühten, lediglich weithin gesellschaftlich akzeptierte Auffassungen und Motivationen zu benennen, um ja keine Fernsehzuschauer mit der speziellen anthroposophischen Weltanschauung zu verschrecken, andererseits aber auch die nötige Offenheit in den Worten zu lassen, damit die vielleicht auch zusehenden Anthroposophen ihre Vorstellungen da hinein projizieren können. Trotz spezieller Nachfragen war das höchste der Gefühle ein dem Pfarrer der Christengemeinschaft abgerungenes knappes Geständnis zu seinem Glauben an Reinkarnation und eine Umdeutung der Auswertung der Aura durch den Leiter für Psychosomatik.

Wesentliches verschwiegen

So bleibt im Endeffekt ein etwas unbefriedigtes Gefühl. Wer sich schon intensiver mit anthroposophischen Gedanken beschäftigt oder sogar einige der grundlegenden Bücher vom Gründer der Anthroposophie Rudolf Steiner gelesen hat, kann den Eindruck bekommen, dass Wesentliches verschwiegen wurde. Die eigentlichen anthroposophischen Konzepte von Lebens- und Entwicklungszyklen, von Äther- und Astralkörper, von der Verbindung des Einzelindividuums mit kosmischen Abläufen wurden allenfalls zaghaft angedeutet oder hinter allgemeinen Formulierungen versteckt. Dies entspricht dem Vorgehen auf der Internetseite der Filderklinik, wo unter „Grundlagen“ zur Anthroposophie nur vermerkt wird, sie sei „eine Wissenschaft zum Verständnis von Natur, Geist und menschlicher Entwicklung“ bzw. „ein offenes Weltbild, das naturwissenschaftliche Erkenntnisse, philosophische und spirituelle Ansätze integriert.“1

Dies stimmt beides so aber nicht. Weder ist die Anthroposophie ihrem Wesen nach eine „Wissenschaft“ (auch wenn sie sich selbst gern den Titel „Geisteswissenschaft“ zulegt), denn es fehlt an der intersubjektiven Nachprüfbarkeit ihrer Grundaussagen, noch ist die Anthroposophie als solche ein „offenes“ Weltbild, denn sie bietet eine in sich geschlossene Deutung von Welt und Kosmos aus den Kundgaben Rudolf Steiners an. Dass viele Anthroposophen einen wachen Geist besitzen und auch viele andere Impulse aufnehmen, sei gern zugestanden. An der Tatsache, dass die Anthroposophie ihrem Wesen nach eine eigene geprägte Weltanschauung darstellt, ändert dies aber nichts. Wer sich also für die wahren Grundlagen der anthroposophische Medizin interessiert und die übervorsichtige Weichspülung der anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit übergehen möchte, dem sei das Buch empfohlen, das Anthroposophen selbst an dieser Stelle angeben:

Rudolf Steiner, Ita Wegman: Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, Dornach. 1991. ISBN 3727470100

Wer dies gelesen hat, weiß wenigstens, worauf er sich einlässt.

Harald Lamprecht

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2006 ab Seite 14