Jeder gute Muslim ist ein Fundamentalist

Dr. Murad Wilfried Hofmann beim Christlich-Islamischen Dialog in Dresden

Dr. Murad Wilfried Hofmann stellte seinen Ausführungen zum Fundamentalismus im Islam ein verändertes Bild vom Fundamentalismus voran: „Jeder gute Muslim ist ein Fundamentalist im ursprünglichen Wortsinn.“ Fundamentalismus meint dabei nicht eine radikale politisierende und verkürzende Interpretation der eigenen Religion, wie dies in der Umgangssprache der Fall ist, sondern ein positives Bezugnahme auf die Fundamente der eigenen religiösen Tradition, also den Koran. Da der Koran das Fundament des Islam ist und jeder Muslim, der sich mit Recht so nennt, auf diesem Fundament steht, sei auch jeder Muslim in diesem Sinn ein Fundamentalist.

Im Übrigen sei es so, dass alle monotheistischen Offenbarungsreligionen zur Intoleranz neigen, da sie aufgrund ihrer empfangenen Offenbarung einen besonderen Anspruch vertreten. Im Unterschied zum Neuen Testament, das lediglich einen „inspirierten Text“ darstellt, führen Verbaloffenbarungen wie der Koran eher zu einem wortwörlichen Verständnis des Textes, meinte Dr. Hofmann in seinem Referat. Im Blick auf Suren im Koran, die zu gewalttätigen Handlungen auffordern, mahnte er zur Unterscheidung zwischen zwei Kategorien. Auch das Römische Recht und das moderne Völkerrecht unterscheide zwischen Normen, welche die Aufnahme von Kampfhandlungen betreffen (ius ad bellum), und solchen, welche sich mit ihrer Durchführung befassen (ius in bello). Meistens handele es sich um eine Verwechslung dieser Normtypen, wenn man dem Koran vorwirft, er billige pauschal und jederzeit unbegrenzte Feindseligkeiten.

Die Geschichte des islamischen Fundamentalismus im engeren Sinn sieht Hofmann mit den Jharijiten im 7. Jahrhundert beginnen. Diese Strömung setzte sich über die Zahiritische Rechtsschule (Ibn Hazm) in Andalusien im 14. Jahrhundert und in der heute in Saudi Arabien vorherrschenden Hanbalitisch - Wahabitischen Schule fort. Als einen Sonderfall von innerislamischem ismailitischen Terrorismus bezeichnete er die Assassinen im 12./13. Jahrhundert.

Den heutigen Anhängern eines einseitig politischen Islam bescheinigte Hofmann keine besondere Affinität zur Gewalt. So operiere auch die heutige Muslim-Bruderschaft prinzipiell gewaltlos. Terroristische Gewalt werde vom Islam generell missbilligt. Er lasse Gewalt allenfalls zur Gegenwehr gegen einen rechtswidrigen Angriff von außen oder als letztes Mittel gegen ein mörderisches Unrechtsregime zu und untersage Selbstmord ohne Einschränkung (Sure 4:29).

Zur Erklärung, warum dennoch fast täglich in den Nachrichten von islamistisch motivierter terroristischer Gewalt zu hören ist, versuchte Dr. Hofmann im Wesentlichen drei Erklärungen:

Gewaltbereite Muslime seien gerade keine orthodoxe und in diesem Sinn fundamentalistische Muslime, sondern moderne Aktivisten, die ihre religiösen Quellen höchst selektiv nutzend instrumentalisieren.

Bei von Muslimen begangenen Terrorakten in Kaschmir, Algerien, Palästina und Tschetschenien handelte es sich in der Regel um Gegenterror, der zwar nicht zu rechtfertigen, aber als Verzweiflungstaten gegen monumentales erlittenes Unrecht zu verstehen sei.

Schließlich sei die westliche Wahrnehmung einseitig an den negativen Schlagzeilen interessiert. Die muslimischen Gemeinden im Westen würden sich fortwährend von den im Namen des Islam begangenen Terrorakten distanzieren. Davon würden die Medien aber nur sehr selten Notiz nehmen.

„Friede ist die Frucht von Gerechtigkeit“ meinte Dr. Hofmann zum Abschluss seines Vortrages in Blick auf den Nahostkonflikt. Dieses Thema drohte die anschließende Diskussion fast zu sprengen, denn die komplizierte Lage zwischen Israelis und Palästinensern lässt sich nicht mit schnellen einseitigen Schuldzuweisungen klären. Insbesondere zu Dr. Hofmanns zweiter Erklärung des Terrors gab es deutlichen Widerspruch, klang sie manchen trotz Dementi etwas zu stark nach einer Rechtfertigung des Terrors.

Insgesamt krankte die Diskussion am zu schnellen Abrutschen in große Schlagworte, mit denen man bekannte Positionen festklopfen, aber kaum etwas zum Verständnis der echten Probleme beitragen kann. So ist eben nicht die westliche Welt und Amerikas Politik mit „dem“ Christentum, ebenso nicht die arabische Welt mit ihren nicht minder komplizierten Interessen- und Gemengelagen pauschal mit „dem“ Islam zu identifizieren. Genaueres Hinsehen macht Mühe, kann aber zu überraschenden Erkenntnissen führen.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2004 ab Seite 11