Zwischen Pendel und schwarzer Messe

Richtungen und Typologien des Satanismus

Satanismus ist ein sehr schillernder Begriff. Unwillkürlich denkt man an Teufelsanbetung, verwüstete Friedhöfe, schwarze Messen und blutige Tieropfer. Aber Satanismus hat viele Gesichter, und die meisten sehen anders aus.

Da gibt es Jugendliche, die aus Neugier Experimente mit einem Pendel oder einem rutschenden Glas veranstalten. Da gibt es schwarzgekleidete Gestalten, die gern harte Musik hören. Andere schwarzgekleidete Gestalten mit wilden Frisuren hören andere Musik, sehen aber sonst ganz ähnlich aus. Da gibt es Leute, die ihre radikale Vorstellung von individueller Autonomie als satanisches Prinzip bezeichnen. Da gibt es andere, die durch Magie versuchen, ihre Ziele zu erreichen. Da gibt es wieder andere, die vor allem deshalb Satanisten sind, weil sie anders sein wollen als ihre Eltern - am Besten das Gegenteil - und das deutlich zum Ausdruck bringen. Wieder andere sind es eher heimlich für sich, lesen magische Bücher, praktizieren still ihre Rituale und sind ansonsten unbescholtene Bürger. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie etwas mit „Satan“ zu tun haben. Was sie darunter verstehen und was das für sie bedeutet, ist schon wieder sehr verschieden.

Wie kann man diese Vielfalt ordnen? Nach Prof. G. Schmid sind vor allem zwei Bereiche zu unterscheiden: experimenteller (hypothetischer) und religiöser (ideologischer) Satanismus.

1. Experimenteller Satanismus

Für die Richtungen, die man unter dem Stichwort „experimenteller“ oder auch „hypothetischer Satanismus“ zusammenfassen kann, gibt es eine Gemeinsamkeit: Satan ist eine Hypothese, die angenommen wird und geprüft werden soll. Seine Existenz steht nicht von vornherein fest, sondern ist genau genommen nebensächlich. Es geht eigentlich um anderes. Satanismus wird benutzt, um anderen Zwecken zu dienen. Er kann zur Überbrückung von Schwächen im Abendprogramm benutzt werden, er kann zur Steigerung von CD-Verkäufen dienen sollen, er kann Protest gegen die Erwachsenenwelt ausdrücken, er kann zur Gestaltung einer Gruppenidentität verwendet werden. Immer geht es aber nicht eigentlich um Satan, sondern um anderes. Der Satanismus ist nur die Fassade.

2. Religiöser Satanismus

Im Unterschied zum vorangegangenen bemüht sich religiöser Satanismus um ein mehr oder weniger geschlossenes weltanschaulich-religiöses System der Weltdeutung. Es geht hier nicht um Experimente, sondern die Grundzüge stehen von vornherein fest. Es ist für die Betreffenden ein philosophisches bzw. religiöses System, das auch mit dem Anspruch intellektueller Überzeugungskraft daherkommt. Innerhalb dieser Abteilung haben sich verschiedene Richtungen und Systeme herausgebildet. Gemeinsam ist ihnen, dass komplizierte liturgische Riten eine wichtige Rolle spielen, denen eine magische Wirkung zugeschrieben wird. Allerdings bekommt Satan in ihnen meist nicht die Stellung eines Gegengottes. Der eigentliche Gott ist der Mensch selbst, dessen Selbstvergottung durch magische Rituale erreicht werden soll. Es ist die „Religion des Ego“

Wichtige Gestalt war Aleister Crowley (1875–1947), der mit dem „Gesetz von Thelema“ den eigenen Willen zum absoluten Gesetz erhob und verschiedene mit ritueller Magie arbeitende Okkultorden dominierte, besonders den Ordo Templi Orientis (O.T.O.)

Ein anderer Zweig, der inzwischen Crowley an Popularität übertrifft, geht auf Anton Szandor LaVey (1966–1997) zurück, der 1966 in Kalifornien die „Church of Satan“ gründete. Im Unterschied zu Crowley ist LaVey im Grunde seines Herzens Rationalist. An einen Teufel glaubt er nicht. Satan ist für ein Prinzip, eine Chiffre für die Umkehrung ethischer Prinzipien. Dies hindert ihn freilich nicht, auch lebenspraktisch ausgerichtete magische Rituale zu propagieren. Von beiden existieren verschiedene Nachfolgeorganisationen.

3. Pathologischer Satanismus

Von den genannten Richtungen zu unterscheiden (obwohl er manchmal auch dort auftritt) ist ein pathologischer Satanismus. Bei ihm steht eine meist behandlungsbedürftige psychische Störung im Zusammenhang mit satanistischem Auftreten oder im Hintergrund von Berichten über satanistische Erlebnisse.

Ränder

Nicht direkt zum Themenberereich des „Satanismus“ gehörig, aber durch einige Berührungspunkte und Überschneidungen mit ihm verbunden, sind

  • die neue Hexenszene (Wicca–Bewegung), in der vornehmlich Frauen ihr Interesse an Magie mit einer Selbstidentifikation als „Hexe“ verbinden,
  • die Neuheidnische Bewegung, wo der Versuch einer Wiederbelebung alter germanischer, nordischer oder keltischer Religionen unternommen wird, und
  • die Gothic-Szene, in der Jugendliche ihrem veränderten Lebensgefühl durch bestimmte Kleidung und Musik Ausdruck geben.

Diese Richtungen grenzen sich in der Regel vom Satanismus ab und wollen mit ihm nichts zu tun haben, stehen aber durch einzelne inhaltliche oder äußere Gemeinsamkeiten mit ihm Beziehung.

Harald Lamprecht, 9/2001

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio Themenheft 01 ab Seite 08