Bundesverfassungsgericht stärkt Schulpflicht
Kinder haben ein Recht auf umfassende Bildung und auch auf Begegnung mit anderen Lebensweisen. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde eines Elternpaares, das zu einer russlanddeutschen Evangeliumschristen-Baptistengemeinde gehört, nicht zur Entscheidung an und bestätigte damit das Urteil der Vorinstanz (Az: 1 BvR 1358/09).
Die Eltern hatten ihr Kind unentschuldigt von einer schulischen Karnevalsveranstaltung sowie einem Theaterprojekt zum Thema „Sexueller Missbrauch“ ferngehalten. Sie hatten argumentiert, Karneval sei ein katholisches Fest mit Ess- und Trinkgelagen, bei denen sich die Menschen verkleidet und enthemmt, „befreit von jeglicher Moral“, wie Narren benehmen würden. Das Theaterprojekt erziehe die Kinder zu einer „freien Sexualität“. Das Verfassungsgericht hingegen sah die religiöse Neutralitätspflicht der Schule nicht verletzt, denn Karneval sei kein katholisches Kirchenfest. Zudem hatte die Schule ein Alternativprogramm angeboten. Das Theaterprojekt habe den Kindern lediglich Möglichkeiten aufgezeigt, sich etwaigem sexuellem Missbrauch zu entziehen. Die elterlichen Vorstellungen von der Sexualerziehung ihrer Kinder seien durch die Präventionsveranstaltung nicht in Frage gestellt worden.
In der Pressemeldung stellte das Bundesverfassungsgericht die religionsrechtlichen Grundlagen dieser Entscheidung noch einmal heraus: „Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit unterliegt selbst keinem Gesetzesvorbehalt, ist aber Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag. Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die allgemeine Schulpflicht eine Beschränkung. Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen. Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen, dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen. Diese Verpflichtung stellt bei strikter Beachtung sicher, dass unzumutbare Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen und eine Indoktrination der Schüler etwa auf dem Gebiet der Sexualerziehung unterbleibt.“
Eine Konfrontation mit dem Faschingstreiben der anderen Schüler sei den Kindern nicht zu ersparen. „Denn die mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar. Dies gilt umso mehr, als vorliegend die Schule einen schonenden Ausgleich zwischen den Rechten der Eltern und dem staatlichen Erziehungsauftrag auch dadurch gesucht hat, dass sie mit einem Schwimmunterricht und der Bewegungslandschaft in der Turnhalle zwei alternative Angebote zur Verfügung gestellt hat.“
Dieser Vorgang zeigt aufs Neue, das die Wünsche nach Befreiung von der Schulpflicht meist einhergehen mit einer extrem angstverzerrten Wahrnehmung der schulischen Situation.
HL / www.bundesverfassungsgericht.de