Schulverweigerer in Hessen zu Geldstrafe verurteilt

Familie mit 7 Kindern sieht Schule als Ort des Lasters

Das Landgericht Kassel hat ein Elternpaar aus Nordhessen zu einer Geldstrafe verurteilt, weil es seine Kinder aus religiösen Gründen von der Schule ferngehalten hat. Die geringe Höhe der Geldbuße von 120 Euro orientiert sich am geringen Familieneinkommen, was nach Abzug des Kindergeldes nur 220 Euro beträgt. Die Familie hat sieben Kinder im Alter von zwei bis siebzehn Jahren und lebt nach eigenen Angaben vom Kindergeld. Hartz IV-Unterstützung würde ihnen zustehen, doch diese lehnen sie ab, weil daran Ansprüche des Staates genknüpft seien, die sie nicht erfüllen möchten. Die öffentlichen Schulen sind in den Augen der Eltern ein Ort der Versuchung und des Lasters. Auch eine christliche Privatschule komme für sie nicht in Frage. In allen Fächern außer Religion und Sport werden die Kinder darum von den eigenen Eltern unterrichtet. Die Mutter übernimmt die Grundschuljahre, der Vater die Klassen ab 5. Der älteste Sohn hatte zwischenzeitlich für vier Monate eine Realschule besucht, um problemloser in die Arbeitswelt wechseln zu können. Ihn hielten die Eltern für moralisch ausreichend gefestigt, um der Welt da draußen begegnen zu können. Die guten Schulnoten des Sohnes sehen die Eltern als Beweis für die Qualität ihres Unterrichtes. Aber darum geht es dem Schulamt nicht, denn Schule ist mehr als Wissensvermittlung. Sie ist ein sozialer Lebensraum und eine Lerngemeinschaft, die diesen Kindern vorenthalten wird.

Religiöse Schulverweigerer haben in der Regel ein extrem verengtes Weltbild. Sie vermögen die vielschichtige Realität moderner Schulbildung nicht ausreichend wahrzunehmen, sondern betrachten sie mit angstverzerrtem Blick. Den Wert, der in der lebendigen Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Lebensweisen liegt, vermögen sie nicht zu erkennen. Diese Bildungsprozesse werden den Kindern vorenthalten, die so nicht einmal während der Schulzeit aus ihrer engen familiären Binnenwelt herauskommen können. Nicht die Wissensdefizite, sondern die sozialen Defizite einer solchen gesellschaftlichen Isolationshaltung sind es, welche die deutschen Behörden veranlassen, in der Durchsetzung der Schulpflicht so konsequent wie möglich zu handeln.

Spiegel 25. 11. 2009

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Autor
HL
Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2009 ab Seite 02