Synodaler Weg (Emblem): Kreuz mit mehrfarbiger Kontur

Grundlegende (Un-)Veränderung

Der Synodale Weg in Deutschland

Mit seiner 5. Tagung ist im März 2023 der „Synodale Weg“ in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland vorerst zu Ende gegangen. Anlass zu seiner Einrichtung waren die erschütternden Ergebnisse der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (kurz: MHG-Studie) im Herbst 2018. 

In der Studie wurde deutlich, dass nicht nur der Umfang des Missbrauches größer war als viele für möglich gehalten hätten. Es wurde auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nicht nur am individuellen Fehlverhalten der jeweiligen Personen lag, sondern dass es dafür strukturelle „systemische“ Ursachen gab. Das bedeutet: An der Struktur muss etwas grundlegend geändert werden, damit sich solche Fälle künftig nicht wiederholen und die Kirche ihr schwer angeschlagenes Vertrauen vielleicht allmählich zurückgewinnen kann. 

Im März 2019 wurde daher die Einrichtung des „Synodalen Weges“ beschlossen. Zu seinem geistlichen Profil heißt es: „Wir sehen, dass es für viele Menschen die Kirche selbst ist, die den Blick auf Gott verstellt und die Suche nach Ihm erschwert. Wir setzen auf die Kraft des Heiligen Geistes, die Kirche zu erneuern, sodass sie Jesus Christus als Licht der Welt wieder glaubwürdig bezeugen kann.“1 Der Prozess begann feierlich am 1. Advent 2019 und war zunächst auf 2 Jahre angelegt. Durch die coronabedingten Verschiebungen wurden es 4 Jahre mit 5 Tagungen. Mit Ende der 5. Synodaltagung im März 2023 ist der Synodale Weg vorerst abgeschlossen. Wie der Konflikt zwischen Deutscher Bischofskonferenz und Vatikan um seine geplante Nachfolgeorganisation „Synodaler Rat“ weitergeht, wird sich zeigen.

Kompetenzdilemma

Warum „synodaler Weg“ und keine Synode? Die Antwort ist einfach: Der Begriff „Synode“ ist im katholischen Kirchenrecht fest verankert klar definiert als eine Bischofssynode, in der folglich (nur) die Bischöfe zusammenkommen und die klaren Regularien folgt. Das sollte es hier aber nicht sein. Ziel des synodalen Weges ist eine Neuaufstellung der katholischen Kirche. Dafür braucht es eine stärkere strukturelle Beteiligung der „Laien“. Deshalb ist die Synodalversammlung nach Kriterien der Repräsentanz möglichst aller Bevölkerungsgruppen in der Kirche zusammengesetzt: Männer und Frauen, Kleriker und Laien, Erwachsene und Jugend. Insofern ist der synodale Weg für die katholische Kirche wirklich neu. Er soll es auch sein, weil man bewusst die bisherigen Pfade verlassen möchte, die ja zu den bestehenden Problemen geführt haben. Indem der synodale Weg eine Neuerfindung ist, kann er Strukturen und Verfahren entwickeln, die im Kirchenrecht eben nicht vorgesehen sind.

Darin liegt zugleich ein grundlegendes Problem. Der synodale Weg kann dennoch nur im Rahmen des bestehenden Kirchenrechtes agieren, wenn keine Spaltung der Kirche mit deutschem Sonderrecht erfolgen soll – und das ist erklärtermaßen nicht beabsichtigt. Das bedeutet konkret: Das Gremium kann zwar diskutieren und Positionen austauschen und Dokumente verabschieden. Aber es kann nichts entscheiden, was außerhalb seiner eignen Strukturen eine Bindungswirkung hätte. Die Konstruktion der römisch-katholischen Kirche und ihre Verfasstheit, derzufolge die alleinige Entscheidungsgewalt bei den Bischöfen liegt, wird vom Synodalen Weg nicht (direkt) angetastet. 

Strukturen & Themen

Träger des Synodalen Weges sind gemeinsam die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK). Oberstes Organ des synodalen Weges war die Synodalversammlung. Sie bestand aus den Mitgliedern der DBK, gewählten Delgierten aus dem ZdK sowie weitere Mitglieder aus kirchlichen Berufsgruppen. Zwischen den Sitzungen hat ein Synodalpräsidium die Versammlungen vor- und nachbereitet, bestehend jeweils aus Vorsitzenden und Stellvertretern von DBK und ZdK.

Die Themen, denen sich der Synodale Weg in erster Linie gewidmet hat, beschreiben die vier Synodalforen, die jeweils eigenständig Texte zu ihrem Themenfeld erarbeitet haben: 

  1. Macht: „Macht und Gewaltenteiung in der Kirche – Gemeinsame Teilhabe und Teilhabe am Sendungsauftrag“
  2. Sexualmoral: „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“
  3. Priester: „Priesterliche Existenz heute“
  4. Frauen: „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“.

Die Themenfelder 1-3 ergeben sich relativ unmittelbar aus der MHG-Studie, während die Frage nach den Mitwirkungsmöglichkeiten von Frauen in der Kirche auch unabhängig davon ein drängendes Problem darstellt.

Umkehr und Erneuerung

Die Arbeitsweise des synodalen Weges bestand wesentlich in der Produktion und gemeinsamen Verabschiedung von mehr oder weniger grundsätzlichen Texten. Dazu hat jeder Forenbereich einen ausführlichen „Grundtext“ und kurze konkretere „Handlungstexte“ zu spezifischen Problemfeldern erarbeitet. Vorangestellt ist ein „Orientierungstext“ mit dem Titel: „Auf dem Weg der Umkehr und der Erneuerung. Theologische Grundlagen des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland“. 

Dieser Text hat das Anliegen, für die z.T. weitreichenden Forderungen nach fundamentalen Änderungen in der katholischen Kirche eine theologische Rechtfertigung zu liefern. Das geschieht über die Betonung von vier Elementen:

  1. dem „allgemeinen Priestertum der Gläubigen“, 
  2. dem „Glaubenssinn der Gläubigen“ – eine im 2. Vatikanischen Konzil wichtig gewordene Zuschreibung an die Gläubigen, dass sie in ihrem gemeinsamen Glauben Wahrheit transportieren, 
  3. der Deutung der „Zeichen der Zeit“ – ebenfalls ein Begriff aus dem 2. Vaticanum mit der Aufgabe, in jeder Zeit die spezifischen Zeichen zu verstehen, mit denen Gott seine Kirche lenken will, und 
  4. generell die „Beweglichkeit der Theologie“, die durchaus in verschiedenen Zeiten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt habe. 

Lehramt, Dogmatik, Bischöfe und Papst werden nicht abgeschafft. Die Argumentation bleibt grundsätzlich im traditionellen Rahmen des Kirchenrechtes, betont aber eben diese auf Veränderungen bezogenen Elemente. Der Text ist keine Revolution, aber ein starkes theologisches Plädoyer für die Offenheit für Reformen. 

Macht und Gewaltenteilung

Wesentlich energischer geht der Grundtext „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“2 zur Sache, der bereits in der zweiten Plenarversammlung abschließend beschlossen wurde. Hier geht es um den Kern der Sache: Wer hat das Sagen in der Kirche? Die bisherige Machtordnung habe „kriminelle und übergriffige Handlungen“ begünstigt und deren interne Bekämpfung verhindert oder erschwert. Im Zentrum des Problems steht die Art und Weise, wie Macht – Handlungsmacht, Deutungsmacht, Urteils- macht – in der Kirche verstanden, begründet, übertragen und ausgeübt wird. Es habe sich eine „Spiritualität des Gehorsams“ entwickelt und eine Praxis, die Macht einseitig an die Weihe binden und sie für sakrosankt erklären. Dort sei sie „von Kritik abgeschirmt, von Kontrolle abgekoppelt und von Teilung abgeschnitten.“ (S. 7) Dagegen fordert der Text, dass Macht „im Geist des Evangeliums ausgeübt sowie geteilt, begrenzt und kontrolliert und im Rahmen nachvollziehbarer Qualitätsstandards verliehen und ggf. auch wieder entzogen wird.“ (S. 11)

Konkret wird dies u.a. im Handlungstext „Einbeziehung der Gläubigen in die Bestellung des Diözesanbischofs“. Allerdings sind Bischofs­ernennungen in Deutschland in Verträgen mit dem Staat (Konkordat) geregelt. Weil man diese nicht ändern will, fällt die Konkretion vergleichsweise zahm aus: In freiwilliger Selbstbindung sollen sich die Domkapitel verpflichten, bei der Bestellung von Bischöfen ein weiteres Beratungsgremien, das nach den Regeln des Synodalen Weges gebildet wurde, an der Beratung zu beteiligen.

Problemfall Sexualität

Die 4. Synodalversammlung im September 2022 enthielt einen Eklat: Der Grundtext von Forum 4 zur Sexualität scheiterte in der finalen Abstimmung, weil er nicht die laut Satzung erforderliche 2/3-Mehrheit der Bischöfe fand. Dies war für etliche Beteiligte ein unerwarteter Schock, weil es sich nicht in den vorausgehenden Wortbeiträgen abgezeichnet hatte.

Der dazugehörige kürzere Handlungstext „Lehramtliche Neubewertung der Homosexualität“, der sich für eine Änderung des Katechismus ausspricht und dem Papst „empfiehlt“, „lehramtlich eine Präzisierung und Neubewertung der Homosexualität“ vorzunehmen, erreichte die erforderlichen Mehrheiten.

Frauen in der Kirche

Ebenfalls im Plenum akzeptiert wurde der Grundtext „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“. Dieser konstatiert einen umfassenden Reformbedarf und betrachtet dazu nach den aktuellen Herausforderungen die biblische Grundlegung, die kirchengeschichtlichen Entwicklungen und bemüht sich um theologische Klärungen für Geschlechtergerechtigkeit auch im weltkirchlichen Kontext. 

Im Ergebnis stellt er fest: „Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche ist ein wesentlicher Prüfstein einer glaubwürdigen und wirksamen Verkündigung des Evangeliums an alle Menschen.“ Es ist klar, was der Text will: den Zugang von Frauen zum kirchlichen Amt ermöglichen. Jedoch formuliert er am Schluss sehr vorsichtig und wagt nur die rhetorische Frage, „ob allein durch die Integration von Frauen in die bisherigen kirchlichen Ämter und Dienste dem Anspruch des christlichen Evangeliums schon zur Genüge entsprochen wird“ (S. 71).

Die Rolle des Papstes

Papst Franziskus stand anfangs dem Unterfangen des Synodalen Weges durchaus positiv gegenüber. Am 29. Juni 2019 schrieb er einen Brief „an das pilgernde Volk Gottes“ mit einem bestärkenden Grundton, auf den in den Materialien des Synodalen Weges vielfach verwiesen wird. 

Je mehr der Prozess fortschritt, desto stärker trat allerdings der Vatikan auf die Bremse. Im Juli 2022 gab es einen ersten Schuss vor den Bug. In einer knappen Erklärung aus Rom hieß es: „Zur Wahrung der Freiheit des Volkes Gottes und der Ausübung des bischöflichen Amtes erscheint es notwendig klarzustellen: Der ‚Synodale Weg‘ in Deutschland ist nicht befugt, die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten. Es wäre nicht zulässig, in den Diözesen vor einer auf Ebene der Universalkirche abgestimmten Übereinkunft neue amtliche Strukturen oder Lehren einzuführen, welche eine Verletzung der kirchlichen Gemeinschaft und eine Bedrohung der Einheit der Kirche darstellen würden.“

Die deutschen Bischöfe reagierten darauf entspannt: Was da verboten werden soll, machen wir ja gar nicht – man müsse doch nur in die Satzung des Synodalen Weges schauen, da bleibt alles im Rahmen des bestehenden Kirchenrechts.

Im November 2022 waren die deutschen Bischöfe zum Ad-Limina-Besuch in Rom. Auch dort gab es kritische Töne u.a. von der Glaubenskongregation zu hören. Ein noch heftigerer Paukenschlag erfolgte am 23. Januar 2023, als der Vatikan die Einrichtung eines „Synodalen Rates“ untersagte. Vorangegangen war ein heimlicher Brief von fünf konservativen Bischöfen an den Vatikan mit der Frage, ob sie sich an einem solchen Rat beteiligen müssen oder dürfen. Aber auch hier wurde im Wesentlichen unbeirrt weitergearbeitet. Bischof Bätzing antwortete freundlich, man werde das alles in den Beratungen bedenken und immerhin sei der Rat ja noch gar nicht eingesetzt, sondern erst einmal ein synodaler Ausschuss geplant, der erst noch die Details für den künftigen Rat festlegen solle.

Versuch einer Bewertung

Ein Teil der Spannungen zwischen Rom und dem Synodalen Weg in Deutschland sind unvermeidlich. Sie liegen in der Struktur der Sache. Das Anliegen ist nicht weniger als eine grundlegende Neustrukturierung der Macht. Da ist es nicht realistisch zu erwarten, dass die bisherigen Träger und Profiteure dieser Machtfülle diese durchweg völlig kampflos abgeben. Insofern ist es klug und richtig, dass die Mehrheit der deutschen Bischöfe auf die Bremsversuche mit Gelassenheit und beharrlicher Geduld reagiert. 

Der synodale Weg wird von zwei Seiten kritisiert. Für die einen kann er zu wenig direkt bewirken und ist eben nur eine „Beteiligungssimulation“, weil er nichts am Kirchenrecht ändert und es formal bei der alleinigen Entscheidungsgewalt der Bischöfe bleibt. Auf der anderen Seite wird (u.a. von Rom) befürchtet, dass ein Synodaler Rat als ständiges Gremium zur Beratung des Bischofes eine faktische moralische Macht gewinnen könnte. Dann könnte der Bischof eben nicht mehr so frei in seiner Entscheidung sein, wie wenn es das Gremium nicht gäbe. Diese Beobachtung scheint in der Tat nicht ganz unbegründigt – und ja auch genau so gewollt, weil mehr eben nicht geht. So gesehen ist das Konzept des synodalen Weges durchaus sehr geschickt. Im sehr engen Rahmen des Möglichen wird versucht mit dem guten Willen der (Mehrheit der) Bischöfe doch das Maximale an Veränderung herauszuholen, indem schlicht auf die normative Kraft des Faktischen gesetzt wird. Es werden Strukturen der Beratung geschaffen, die dann nicht mehr ganz so einfach zurückgedreht und auch nicht vollkommen problemlos ignoriert werden können. Das ist alles noch ein gutes Stück von dem entfernt, was in evangelischen Synoden seit Jahrzehnten selbstverständliche Realität ist. Aber es ist eben auch die römisch-katholische Kirche. Spannend bleibt die Entwicklung, wie es vielleicht noch gelingen könnte, den deutschen Synodalen Weg mit dem weltweiten Prozess und der für Herbst 2023 geplanten weltweiten Bischofssynode zu verbinden.

Harald Lamprecht

Texte und Materialien: www.synodalerweg.de


1 https://www.synodalerweg.de/was-ist-der-synodale-weg

2 Der Text ist wie alle hier genannten auf https://www.synodalerweg.de/beschluesse als Broschüre zu finden. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Fassung.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2023 ab Seite 18