Streitfall Extremismusklausel

Wie staatliches Misstrauen wichtige Arbeit blockiert

Die Arbeit gegen Rechtsextremismus wird gegenwärtig durch eine Klausel stark behindert, die das Bundesfamilienministerium und in verschärfter Form auch das sächsische Innenministerium seit einem Jahr allen Initiativen abverlangen, welche zur Bekämpfung des Rechsextremismus staatliche Fördermittel bekommen. Die Klausel verlangt von den Zuwendungsempfängern, dass sie 1) ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgeben und 2) sicherstellen, dass all ihre Projektpartner ebenfalls ein solches Bekenntnis abgeben. In den ersten Fassungen war damit noch die Forderung verbunden, selbst unter Hinzuziehung von Geheimdienstberichten entsprechende Ermittlungen über die Projektpartner anzustellen. Gegen diese sogenannte „Extremismusklausel“ wehren sich die Initiativen vehement.

Warum?

In der Tat hat wohl keine der Initiativen auf der rein sachlichen Ebene ein Problem damit, sich zu den Grundpfeilern unserer Demokratie zu bekennen. Im Gegenteil, das ist der Sinn ihrer Existenz. Sie arbeiten mit großem Einsatz und Engagement an der Verbesserung der demokratischen Kultur und setzen sich kritisch mit denen auseinander, welche die Demokratie durch einen autoritären Führerstaat ersetzen wollen. Gerade deshalb empfinden sie es als unerträgliche Zumutung, dass ausgerechnet ihnen diese Erklärung zugemutet wird. Sie enthält ein offen ausgesprochenes Misstrauen. Ein Misstrauen, welches sich aus dem tiefsitzenden Missverständnis speist, wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, sei doch irgendwie bereits dadurch des latenten Linksextremismus verdächtig. Nun könnte man sagen: habt euch nicht so, unterschreibt das Papier und macht doch nicht so ein Geschrei darum. Das wäre die pragmatische Lösung. Aber gerade weil ihnen die Demokratie am Herzen liegt, wollen viele Initiativen eine solche Erklärung, die sie zwingt, regierungsamtliches Irrtums-Misstrauen auch noch auf all ihre Projektpartner anzuwenden, nicht unterschreiben. Es gibt mehrere juristische Gutachten, die eine solche Erklärung für rechtswidrig erklären. Sie ist auch unnötig, weil ohnehin und schon immer eine entsprechende Formulierung in den Zuwendungsbescheiden enthalten war. Laut Bundesregierung geht es bei der Klausel darum, zu verhindern, dass „Extremisten“ und Feinde der Demokratie Fördergelder erhalten. Angesichts der beträchtlichen Steuermittel, die jährlich auf dem Weg über die V-Männer des Verfassungsschutzes direkt in den Aufbau rechtsextremer Strukturen fließen, ohne dass dies z.B. zur Aufklärung des Terrors beim „Nationalsozialistischen Untergrund“ erkennbar beigetragen hätte, scheint dieses Argument absurd. Dem gegenüber konnte das sächsische Innenministerium auch auf wiederholte Nachfrage hin bis heute keinen einzigen Fall nennen konnte, bei dem staatliche Fördermittel gegen Rechtsextremismus in Strukturen geflossen wären, die aktiv an der Abschaffung der Demokratie gearbeitet hätten.

Für die Demokratie gegen die Klausel

Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht die potenziellen Demokratieverweigerer sind, die sich gegen diese Extremismuserklärung engagieren. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis, welches bei oberflächlicher Betrachtung des Themas verständlicherweise schnell entstehen kann.

Die Kritik wendet sich mit guten Gründen gegen die beiden Teile der Erklärung, die jeweils für sich ihre Probleme aufweisen.

1) Die Bekenntnisforderung: Nicht der Inhalt, sondern die Methode wird hier kritisiert. Auf lange Sicht ist es nämlich höchst schädlich für die Demokratie, das heißt genauer: für das soziale Miteinander und das Funktionieren von gesellschaftlichem Engagment, wenn diese „Absicherungsmethode“ um sich greift. Darum heißt es: Wehret den Anfängen! Man darf sich ruhig einmal ausmalen, wie es die Gesellschaft verändern würde, wenn plötzlich in viele Bereiche es Lebens eine solche Kultur des Misstrauens einzieht. Was passiert, wenn man erst einmal jedem mit der Unterstellung der bösesten Absichten begegnet, von der er sich dann durch die Unterzeichnung einer Erklärung, dass er doch aber gute Absichten hege, frei machen kann? Mit einer solchen Methode wird 1) viel Engagement im Keim erstickt - denn wer will sich denn schon freiwillig all diesen Verdächtigungen aussetzen. Darüber hinaus wird 2) eine Kultur der Heuchelei erzogen, denn es wird immer genügend Menschen geben, die alles mögliche unterschreiben, wenn es ihnen nützt. Dann sind wir wieder in einer Gesellschaft, wo man sich in der zweiten Schulklasse „freiwillig“ verpflichtet, 50 Pfennige für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu spenden und mit „Timur und seinem Trupp“ bei alten Leuten regelmäßig Altpapier zu sammeln. Dabei ist weder Altpapiersammeln noch die Deutsch-Sowjetische Freundschaft von Natur aus schlecht. Aber erzwungene Bekenntnisse sind nutzlos. Das gilt ebenso für ein Bekenntnis zum Staat. Mit dem Verständnis von Demokratie, für das die Initiativen sich engagieren, hätte so eine Gesellschaft nichts mehr zu tun. Deshalb kämpfen sie gegen die Extremismuserklärung, riskieren all die damit verbundenen Missverständnisse und Unterstellungen und verzichten auf nicht unerhebliche Finanzmittel – nicht weil sie heimliche Extremisten wären oder solche fördern wollen, sondern gerade weil ihnen die freiheitliche Demokratie so ein Herzensanliegen ist, die durch diesen Bekenntniszwang in Mitleidenschaft gezogen wird.

2) Das Schneeballprinzip: Die eben genannten Probleme werden potenziert mit der Forderung, diese Erklärung auf alle Projektpartner auszuweiten. Damit verbinden sich auch völlig ungelöste praktische Probleme. Wer zählt alles zu den „in das Projekt einbezogenen Partnern“? Nur die weiteren Zuwendungsempfänger? Das wäre noch einigermaßen logisch und so steht es im Zuwendungsbescheid, aber so wird es nicht praktiziert. Gemeint ist offenbar doch ein diffuser weiterer Kreis. Letztlich entsteht eine Unsicherheit, ob man nicht doch sicherheitshalber von jedem, mit dem man länger an einem Tisch sitzt, sich auf einem Podium blicken lässt, oder mal in einer Beratungssituation zusammentrifft, auch die Abgabe einer solchen Erklärung fordern müsste, um nicht im Konfliktfall eine Rückforderung der Fördermittel zu riskieren. Außerdem: Bekenntnisse betreffen Meinungen. Meinungen können sich ändern. Wie lange gilt eine solche Erklärung? Ein Jahr? Einen Monat? Was, wenn jemand erst nach der Unterzeichnung zum Gegner der Demokratie würde? Das sind hypothetische Fragen, die aber zeigen, dass es grundsätzlich unsinnig ist, mit Hilfe von Gesinnungserklärungen im Schneeballprinzip Sicherheit schaffen zu wollen. Sie schaffen keine Sicherheit, sondern nur massive Verunsicherung.

Wem hilft es?

Die berühmte Frage, wem es nützt, muss auch hier gestellt werden. Momentan kann man es recht deutlich sagen: den Rechtsextremen. Das gilt nicht nur indirekt, weil die Auseinandersetzung um die Extremismusklausel viele Kräfte sinnlos verschleißt, die besser sachbezogen investiert wären. Das gilt auch ganz direkt, denn die Erklärung wird in der Hand der NPD zu einer Waffe gegen die Initiativen. So hat der NPD-Abgeordnete Andreas Strorr im Oktober versucht, dem Kulturbüro Sachsen die Fördermittel abzugraben, weil eine Mitarbeiterin an einer Podiumsdiskussion von „Dresden nazifrei“ teilgenommen hatte. Das waren keine Verfassungsfeinde und nicht einmal „Projektpartner“. Dennoch hat schon diese Anfrage etliche Unruhe ausgelöst. Man kann sich ausmalen, welche Dimensionen diese Entwicklung noch gewinnen kann, wenn man hier nicht gegensteuert.

Das Landesjugendpfarramt hat unter diesen Umständen das Ruder herumgerissen und das bisher mit sächsischen Landesmitteln geförderte Projekt „Demokratie lernen“ nach drei Jahren beendet.[1] Grund dafür ist zum einen die als unzumutbar empfundene Extremismuserklärung, zum anderen die Förderpraxis der Staatsregierung, die Mittel nur jeweils für ein halbes Jahr und erst im Nachhinein zur Verfügung zu stellen. In einem Interview der evangelischen Wochenzeitung „Der Sonntag“ zeigte sich Innenminister Markus Ulbig verständnislos und meinte „Wer die Unterschrift unter die Demokratieerklärung nicht leisten kann, ist möglicherweise auch kein geeigneter Partner für die Stärkung der Demokratie.“

Landesjugendpfarrer Tobias Bilz reagierte darauf in einem Offenen Brief[2] an den Innenminister. Darin heißt es u.a.: „Geradezu erschüttert bin ich darüber, dass Sie die Bedenken derer, die ihre Unterschrift nicht leisten möchten, nicht einmal ansatzweise zu verstehen versuchen. Stattdessen reagieren Sie mit öffentlichem Argwohn. Sollte in der Staatsregierung schon in Vergessenheit geraten sein, wie es um einen Staat bestellt ist, der seine Legitimation durch erzwungene Bekenntnisse zu gewinnen versucht?“

Nimm‘s mit Humor

Man kann darüber verbittern oder es mit Heiterkeit nehmen. Letzteres ist sicherlich die bessere Wahl. Die ostsächsische Firma „Klausel“ vertreibt das „Extremis-Mus“, um auf humorvolle Weise auf diese Misstände aufmerksam zu machen.[3] Da bleibt nur, guten Appetit zu wünschen.

 

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/280

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2011 ab Seite 21