Kirche & Politik: Demokratie & Kirche
Ist Demokratie biblisch?
Die biblischen Autoren mussten sich mit ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandersetzen: Nomadenstämme, Königtümer, Großreiche, Vasallenstaaten, Exil, Kaiserreiche u.s.w. Christen erkennen aber, dass die freiheitlich demokratische Grundordnung einer parlamentarischen Demokratie wichtigen Prinzipien des Evangeliums in hohem Maß entspricht. Unter den verschiedenen möglichen Modellen der Staatsorganisation ist sie am ehesten in der Lage, Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben gemäß Gottes Willen für die größte Zahl an Menschen zu gewährleisten.
Demokratie geht realistischerweise davon aus, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen haben und vermittelt Instrumente, diese in einen Ausgleich zu bringen. Die Gewaltenteilung rechnet mit der Fehlerhaftigkeit von Menschen und sorgt für Kontrolle und Begrenzung der Macht. Die Bürgerrechte können eine Begründung in der biblischen Aussage von der Gottebenbildlichkeit des Menschen finden (Vgl. dazu die ergänzenden Texte am Ende des Abschnittes).
Sie ist nicht perfekt und braucht ständig Korrektur und Verbesserung. Aber jede andere denkbare Ordnung (Monarchie, Diktatur…) hat deutlich mehr Nachteile für mehr Menschen. Darum engagieren sich Christen aus ihrem Glauben motiviert für den Erhalt und die Stärkung der Demokratie.
Wie hängen Demokratie und Menschenrechte zusammen?
Die modernen westlichen Demokratien sind eine Frucht der Aufklärung und basieren wesentlich auf den daraus resultierenden Vorstellungen der Menschenrechte und der Volkssouveränität. In der Französischen Revolution von 1789 wurde mit den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein von diesen Gedanken geprägtes Programm formuliert. Nun ist der Verlauf der Französischen Revolution diesen Prinzipien keineswegs immer gerecht geworden und hat zu großem Blutvergießen geführt. Die insbesondere in Frankreich deutlichen antikirchlichen und religionskritischen Begleiteffekte haben es Kirchenvertretern Anfangs schwer gemacht, ein positives Verhältnis zu diesen Prinzipien zu finden. Auch bei den Gegnern der Demokratie in der Weimarer Republik und heute noch kann man das Argument finden, die Französische Revolution habe die bestehende gottgegebene hierarchische Ständeordnung zerstört und mit ihrer Idee der Menschenrechte den Menschen an die Stelle der bisherigen Ausrichtung auf Gott gesetzt. Aus dieser Argumentationslinie folgt gelegentlich eine grundlegende Kritik an der Idee der Menschenrechte, die sich sogar auf theologische Argumente beruft.
Aus christlicher Perspektive ist die Vorstellung der Menschenrechte aber mit der Schöpfung verknüpft: Weil jeder Mensch ein geliebtes Geschöpf Gottes ist und sich in ihm ein Ebenbild Gottes zeigt, ist jeder Mensch mit einer unverlierbaren Würde ausgestattet. Gott selbst ist in Jesus Mensch geworden. Die Frage nach dem Willen Gottes ist daher kein Gegensatz zu der Frage nach dem Wohl der Menschen. Im Engagement für die Erhaltung universaler Menschenrechte erfüllt sich das christliche Liebesgebot.
Was gefährdet die Demokratie?
Gegenwärtig steht die Demokratie unter Druck. Darum ist es wichtig zu sehen: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ergibt sich nicht von allein, sondern muss erarbeitet und verteidigt werden.
Demokratische Strukturen sorgen für eine Begrenzung der Macht. Nicht einer allein kann alles entscheiden. Auch Regierungshandeln kann kontrolliert werden. Aber Macht hat auch eine starke Faszination. Menschen wünschen sich starke, machtvolle, handlungsfähige Regierungen. Das lässt sie mitunter Parteien unterstützen, die solche Einschränkungen ihrer Macht zu beseitigen versuchen.
Wo in Europa populistische Regierungen an die Macht gekommen sind, haben sie als erstes versucht, diese Kontrollinstrumente (Verfassungsgerichte, Gewaltenteilung, Pressefreiheit etc.) auszuhebeln und in ihrer Wirkung zu beschränken.
Demokratische Abläufe sind komplizierter als autoritäre Entscheidungen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben die Mechanismen der Demokratie nicht ausreichend verinnerlicht und kennen ihre eigenen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten nur ungenügend. Eine verantwortliche Mitwirkung am Gemeinwohl ist auch mühsam. Daraus entsteht immer wieder die heimliche Sehnsucht, ein starker Herrscher an der Spitze möge doch mal schnell „das Richtige“ entscheiden. Dass eine solche Herrschaft schnell in Tyrannei umschlagen kann, hat die Geschichte zur Genüge bewiesen.
Kommt die neue Sehnsucht nach Autorität von der Globalisierung?
Sie ist durchaus ein verstärkender Faktor. Die Globalisierung betrifft sehr viele Lebensbereiche. Sie bringt zwar viele Vorteile, z.B. für uns billige Waren aus aller Welt. Aber zahlreiche Menschen sind verunsichert durch die rasanten Veränderungen. Sie ist begleitet von wachsender sozialer Ungleichheit. Diese und die Kriege der Gegenwart verstärken Flucht und Migration und werfen Ängste und Fragen nach kultureller Identität auf.
Diese Krisen der Moderne müssen im Blick nach vorn gelöst werden. Der Wandel muss gestaltet werden. Dafür müssen gemeinsam zukunftstaugliche Konzepte entwickelt werden, die die Interessen möglichst vieler Beteiligter berücksichtigen. Allein der Blick zurück in eine verklärte Vergangenheit und ihre Strukturen taugt nicht als Rezept für die Zukunft.
Wie können sich Gemeindeglieder zur Stärkung der Demokratie engagieren?
Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Nehmen Sie an Wahlen teil und geben Sie Ihre Stimme einer Partei, die für demokratische Werte eintritt. Diskutieren Sie in Ihrem Umfeld über gesellschaftliche Fragen. Unterstützen Sie Initiativen, die in Ihrem Umfeld etwas zur Verbesserung des sozialen Miteinanders tun. Kontaktieren Sie die Abgeordneten der Parteien für Ihren Wahlkreis und teilen Sie Ihre Anliegen mit. Widersprechen Sie Hetzreden und pauschalen Abwertungen anderer Menschen sofort. Und vielleicht das Wichtigste: bleiben sie selbst entspannt und anderen Menschen freundlich zugewandt, auch wenn diese nicht Ihre Meinung vertreten.
Ergänzende Texte zu diesem Themenfeld:
- Nächstenliebe leben, Klarheit zeigen. Handreichung zu Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie und Menschenrechte, Dresden 2019, S. 20-26
- Deutsche Bischofskonferenz: Dem Populismus widerstehen. Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen (Arbeitshilfen Nr. 305)
- Nationalismus. Akteure – Argumente – Antworten, Confessio Themenheft 3, Dresden 2019
- Eckhard Zemmrich: Die Universalität des Liebesgebotes. In: Reinhard Hempelmann, Harald Lamprecht (Hg.): Rechtspopulismus und christlicher Glaube. EZW-Text 256, Berlin 2018, S. 85-97
- Materialien der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus
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