(Keine) Angst vor dem Islam?

Thesen zu einer Podiumsdiskussion

Warum haben in Europa viele Menschen Angst vor dem Islam? Ist diese Angst berechtigt? Mit diesen Fragen befasste sich eine Podiumsdiskussion in der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Radebeul-West. Einige Impulse zu dieser Diskussion sollen im Folgenden wiedergegeben werden.

Welcher Islam?

Häufig sind interreligiöse Diskussionsveranstaltungen in der Weise konzipiert, dass ein Muslim seine Religion verteidigt und ein Nichtmuslim die Rolle des Angreifers bekommt. Eine solche Konstellation ist wenig ergiebig, denn sie verstärkt ein Missverständnis, das schon im Thema angelegt ist: „Angst vor dem Islam“ suggeriert, es gebe diesen Islam an sich als monolithischen Block. Gehörtes und Gerüchte verschmelzen dabei zu einem in der Tat oft sehr trüben Brei. Die wichtigste Frage, um dies aufzulösen heißt darum: Vor welchem Islam haben wir Angst? Das unterstellt, dass es verschiedene Islame gibt, zumindest verschiedene Verständnisse und Interpretationen des Islam. Vor manchen von ihnen braucht man keine Angst zu haben, vor anderen aber sehr wohl - und das sogar als Muslim, weil diese Richtungen auch gegen Muslime vorgehen, die nicht ihrem spezifischen Verständnis folgen wollen.

Verklärte Vergangenheit

Ich habe Angst vor den Richtungen des Islam, die sich einseitig an der Vergangenheit orientieren und keine Lösungen für die Zukunft anbieten können oder wollen.

Der Islam hat als Weltreligion eine lange Geschichte hinter sich und vielerlei Anpassungen an verschiedene Kulturen und Lebensumstände in seine Tradition integriert. Fundamentalisten treten als Reformer auf und orientieren sich einseitig an einer mit Projektionen überfrachteten angeblich idealen Frühzeit des Islam, die in allen Punkten für normativ angesehen wird. Mit einem solchen rückwärts gerichteten Verständnis der Religion lassen sich nur schwer die Probleme der Menschen des 21. Jahrhunderts verstehen.

Von den vier Rechtsschulen des Islam ist die hanbalitische die konservativste, und obwohl sie nur für eine Minderheit der Muslime Geltung besitzt, hat sie einen überproportionalen Einfluss auf den Islam, weil sie in Saudi Arabien ihre Heimat hat. Als Hüterin der Heiligen Stätten und über die zahlreichen Wallfahrtspilger nach Mekka prägt sie den Islam. Eine besonders strenge Richtung des Hanbalismus ist der Wahabismus. Er ist in seinen Urteilen und Wertvorstellungen grundlegend an den Verhältnissen des ersten Islamischen Jahrhunderts orientiert. Alternativ dazu werden als Salafiyya oder Neo-Salafis diejenigen Muslime bezeichnet, die ihr Religionsverständnis streng an dem Brauch der „frommen Altvorderen“ (as-salaf as-sâlih) ausrichten.

Im Gegensatz zu diesen Positionen braucht die muslimische Welt selbst die Freiheit, den Koran neu lesen zu können.

Legitimierte Gewalt

Ich habe Angst vor den Richtungen des Islam, die meinen, ihre religiösen Vorstellungen notfalls auch mit Gewalt durchsetzen zu können oder zu müssen.

Verbunden mit einer solchen konservativen Enge ist die Ablehnung von Vielfalt in religiösen Interpretationen. Nur das eigene Verständnis gilt als von Gott legitimiert, alle anderen Auffassungen würden die Religion verfälschen und seien darum zu bekämpfen. Der religiöse Eifer rechtfertigt dann auch Gewalt und Zwangsmaßnahmen gegen alle, die nicht mit gleicher Glaubensstrenge den als göttlich verstandenen Geboten folgen. Mordaufrufe gegen Islam-Kritiker von höchsten Stellen zeigen ein schlimmes Bild des Islam. Was ist das für eine schwache Religion, die keine Kritik aushalten kann und danach trachtet, die Kritiker zu töten?

Religionsfreiheit?

Ich habe Angst vor einem Islam, der die Religionsfreiheit nicht akzeptiert bzw. nur in eine Richtung gelten lassen will.

Der Islam ist nach der Meinung aller vier Rechtsschulen eine Einbahnstraße: man kann ihn annehmen, aber nicht legitimer Weise wieder verlassen. Der Abfall vom Islam (lat: Apostasie, arab.: Ridda) ist nach gängiger Auffassung mit dem Tode zu bestrafen. Die Strafe für den Abfall, die im Koran noch Gott vorbehalten bleibt, hat die islamische Tradition unter Verweis auf den erste Kalifen Abu Bakr und seine Kämpfe gegen aufständische (=abgefallene) Beduinen selbst regeln wollen. Manche islamische Länder haben dies in ihrer Strafgesetzgebung verankert, aber auch sonst leben ehemalige Muslime stets in Lebensgefahr. Da der Abfall vom Islam aber sehr weit definiert werden kann, richtet sich der Terror der Fundamentalisten auch gegen Muslime, die aus ihrer Sicht nicht fromm genug leben.

Als Gegenstück zu diesen negativen Abgrenzungen fungiert die Feststellung der Punkte, vor denen man keine Angst zu haben braucht.

Mission ist erlaubt

Ich habe keine Angst vor einem Islam, der missionarisch ist.

Mission ist die Lebensäußerung eines jeden Glaubens. Folglich ist es das gute Recht auch der Muslime, ihren Glauben anderen Menschen zu bezeugen. Das ist kein Grund zur Sorge, allenfalls zeigt es ein gewisses Problem damit auf christlicher Seite. Insofern kann die Präsenz des Islam in Europa für die Christen ein Ansporn sein, ihren Glauben mutiger zu bekennen. Im Übrigen ist der Islam in Deutschland missionarisch nicht besonders erfolgreich und wächst durch Einwanderung, aber kaum durch Konversionen.

Religiöses Leben

Ich habe keine Angst vor Muslimen, die ihren Glauben auch im Alltag leben.

Religiöses Leben gehört zur gelebten Religion. Solches muss weder zwangsläufig zu den gefürchteten Ghettobildungen und Parallelgesellschaften noch zu Ausgrenzungen und Konflikten führen, wie etliche Beispiele belegen. Es kommt auf das entsprechende Maß an gutem Willen und Einfühlungsvermögen auf beiden Seiten an, damit das Zusammenleben gelingt.

Europäischer Islam

Ich habe keine Angst vor einem Islam, der in der deutschen Gesellschaft angekommen ist.

Ein großer Teil der vermeintlichen Islam-Probleme sind keine religiösen Fragen, sondern Schwierigkeiten, die auf Kulturdifferenzen beruhen. Nun ist die Trennlinie zwischen Religion und Kultur nicht immer scharf zu ziehen, wie z.B. die komplizierte Diskussion um das Kopftuch bezeugt. Gleichwohl besteht die begründete Hoffnung, dass europäische Muslime in der Lage sind, ein Verständnis ihrer Religion zu entwickeln, das den modernen Lebensumständen gerecht wird und in der Umgebung nicht als Bedrohung erlebt wird.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/198

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2008 ab Seite 15