Kirche & Politik: Kirche und Staat
Wer ist „die Kirche“?
Die Kirche im evangelischen Verständnis ist die Gemeinschaft der Glaubenden. Diese Gemeinschaft ist verbunden durch die Taufe, geprägt vom Hören auf Gottes Wort und gehalten durch die Feier des Abendmahles (Augsburger Bekenntnis, Artikel 5 und 7).
Über Kirchenvorstände und Synoden sind alle Christen auf demokratische Weise auch am Leitungshandeln in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens beteiligt.
Warum ist die Kirche politisch?
Der Glaube ruft Menschen zu verantwortlichem Handeln. Das hat Auswirkungen auf das Verhalten von Christen in der Welt. Wo sie für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung eintreten, sind sie automatisch politisch aktiv. Wenn sich Christen für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen, stellen sie auch politische Forderungen. Dürfen sie das? Ja, denn der Glaube drängt danach, auch im Leben sichtbare Früchte hervorzubringen (Jak. 2,14ff).
Es fällt auf, dass Kritik am politischen Engagement von Christen bzw. der Kirche meistens dann geäußert wird, wenn es nicht mit der eigenen politischen Meinung übereinstimmt. Dann wird ihr Rückzug in die Innerlichkeit des Betens gefordert. Zum Glauben gehört aber beides: Beten und Handeln. Weil es für das Handeln oft unterschiedliche Optionen gibt, bemüht sich die theologische Ethik um Kriterien dafür.
Warum ruft die Kirche zum Handeln auf?
Das kirchliche Engagement folgt der Botschaft des Evangeliums. Dabei kann es natürlich dort und da zu Übereinstimmungen mit Positionen kommen, wie sie auch von politischen Parteien vertreten werden. Wo das geschieht, ist es erfreulich und kein Grund, von diesen Positionen abzulassen. Die Botschaft des Evangeliums ist aber auch dort zur Sprache zu bringen, wo keine regierende Partei sie hören oder umsetzen will.
Diese Botschaft ist aber kein politisches Programm. Wie kann man damit Politik machen?
Das geht nicht unmittelbar. Die Bibel ist kein Parteiprogramm. Aber die Bibel zeigt, wie Gott die Menschen liebt und hofft, dass dies dazu führt, dass auch die Menschen miteinander liebevoll umgehen. Dazu gehört, dass sie einander vergeben, sich um Frieden bemühen, die Fremdlinge nicht unterdrücken, den Armen und Ausgestoßenen helfen, die Mächtigen zur Gerechtigkeit ermahnen, Barmherzigkeit üben u.a.m. An diesen Maßstäben – nämlich der Umgang mit den Menschen und insbesondere den Schwachen in der Gesellschaft – ist politisches Handeln aus christlicher Sicht zu messen. Da ist die Bibel sehr deutlich.
Wie steht die Bibel zu den Mächtigen?
Die in der Schöpfung angelegte Gottebenbildlichkeit des Menschen überwindet alles Denken in Rang und Stand. Vor Gott ist der Bettler genauso wertvoll wie ein König oder Präsident. Gleichwohl gibt es in den Organisationen dieser Welt unterschiedliche Verantwortungsebenen und damit Möglichkeiten zur Machtausübung. In der Bibel richtet sich die Beurteilung danach, wie diese Macht genutzt wird. Es gibt z.B. viel Kritik an den Königen, wenn diese ihre sozialen Aufgaben nicht erfüllen, das Recht beugen, Witwen und Waisen nicht versorgen oder habsüchtig herrschen. Das ist ein Kernthema vieler Propheten. Andere Könige wie z.B. David oder Salomo werden insgesamt positiv beurteilt, selbst wenn es auch dort Kritik an einzelnen Handlungen gibt. Insgesamt ist Herrschaft nicht grundsätzlich kritisiert oder abgelehnt, aber es wird stets die Rücksicht auf die Schwachen eingefordert. Das ist ein wesentlicher Grundzug in der Bibel.
Ist die Kirche mit den Mächtigen im Bunde?
Seit das Christentum unter Kaiser Theodosius Staatsreligion geworden war, hatte es immer wieder enge Verbindungen von geistlichem Amt und weltlicher Macht gegeben. Zugleich hat es auch zu allen Zeiten Widerspruch gegen eine Vereinnahmung der Kirche durch den Staat einerseits oder eine Verweltlichung der Kirche andererseits gegeben. Beispielhaft zu nennen sind der Investiturstreit im Hochmittelalter, die Entstehung der Bettelorden wie z.B. die Franziskaner, die Barmer Theologische Erklärung oder auch die Friedensarbeit der Kirchen in der DDR und in Westdeutschland angesichts atomarer Hochrüstung. Es wäre nicht sachgemäß, hier jeweils nur eine Seite sehen zu wollen. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der Kirche, unter den jeweils bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat zu verkündigen. Dazu kann es Kooperationen geben, wo die staatliche Organisation Anliegen des Evangeliums unterstützt (z.B. in Diakonie und Bildung) oder auch Widerstand erforderlich sein (z.B. bei unsozialer Politik, Umweltzerstörung oder Kriegsvorbereitung).
Braucht es eine Trennung von Kirche und Staat?
Ja. Beide agieren auf unterschiedlichen Ebenen. Die Kirchen ordnen wie alle Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes. Der Staat vertritt selbst keine religiösen Präferenzen und behandelt die Religionsgemeinschaften formell gleich. Das ist im Grundgesetz geregelt.
Darf es dennoch Kooperationen geben?
Selbstverständlich. Weil die Christen auch Bürger des Staates sind, gibt es Überschneidungsbereiche. In diesen sind Kooperationen sinnvoll und angemessen. Dafür hat u.a. die evangelische Kirche einen Vertrag mit dem Staat.1 Darin ist geregelt, wie und in welchen Bereichen Staat und Kirche zusammenwirken: beim Religionsunterricht, in der Seelsorge an Gefangenen und Soldaten, bei Theologischen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen, in Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, bei der Erhaltung von Baudenkmalen u.a.m. Ähnliche Verträge bestehen u.a. mit röm.-kath. Bistümern oder der jüdischen Gemeinde.
Will kirchliches politisches Engagement das „Himmelreich auf Erden“ errichten?
Soviel wie davon möglich ist. Lutherische Christen wissen allerdings sehr wohl um die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen. All unser Wirken ist nur Stückwerk. Wir bleiben stets auf die Vergebung Gottes angewiesen und hoffen darauf, dass Gott selbst das vollendet, was er in uns begonnen hat.
Christen wissen, dass sie das Paradies nicht aus eigener Kraft herbeischaffen können. Sie wissen, dass auch trotz guter Absichten Böses mit entstehen kann, weil das reine Gute in dieser Welt nicht zu haben ist und oft nur zwischen einem kleineren und einem größeren Übel gewählt werden kann.
Das bedeutet nun aber keineswegs, dass nichts gegen das Elend der Welt getan werden dürfe und dass man Krieg, Unrecht und Umweltzerstörung tatenlos zusehen müsse. Im Gegenteil: Aus der Rechtfertigung durch Gott zu leben heißt, seine Liebe in die Welt zu tragen. Das gilt auch politisch. Jesus verkündete, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist und in seinem – sowie im Handeln von Christen – bereits jetzt sichtbar werden kann.
Sich für eine bessere Welt zu engagieren ist darum kein Utopismus. Es ist Leben aus dem Glauben, der etwas von dem weitergeben will, das er selbst empfangen hat, zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen.
Ergänzende Texte zu diesem Themenfeld:
- Der Ort der Kirche in der Gesellschaft – Materialien für das orientierende Gespräch zusammengestellt vom Theologischen Grundsatzdezernat. In: Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Nr. 14 2019 (26.07.2019), B 13.
https://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/B._Landeskirche/Amtsblatt/Amtsblatt-2019-14.pdf - Vertrauen in die Demokratie stärken. Ein Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland - Gemeinsame Texte 26, 2019
www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/gemeinsame_texte_26_demokratie_2019.pdf - Heinrich Bedford-Strohm: Für eine Öffentliche Kirche – Warum Glaube politisch ist, in: Nächstenliebe leben, Klarheit zeigen. Handreichung zu Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit,
hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie und Menschenrechte, Dresden 2019, S. 20-26
https://www.kirche-fuer-demokratie.de/material/63 - Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung. Zehn Impulse der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland, Hannover 2017
www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/20170814_konsens_und_konflikt.pdf - Demokratie braucht Tugenden. Gemeinsames Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens, Gemeinsame Texte Nr. 19, November 2006
www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/GT_19___Druckfassung_061108.pdf - Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland 1985, 4. Aufl., Gütersloh 1990
www.ekd.de/evangelische_kirche_und_freiheitliche_demokratie.htm
Anmerkungen
1 engagiert.evlks.de/Rechtssammlung/PDF/7.4.1_Evangelischer_Kirchenvertrag_Sachsen.pdf
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