Raus aus dem Staat
Peter Fitzek ist ein gelernter Koch, der sich 2012 von einigen Anhängern in einer skurrilen Zeremonie zum „König von Deutschland“ hat krönen lassen. Seinen Untertanen verspricht er ein neues Königreich Deutschland, in dem alles irgendwie besser und netter und schöner sein soll als in der Bundesrepublik, die er verächtlich macht. Keine Steuern, kein Gerichtsvollzieher, keine Ämter, keine Bürokratie – das sind zentrale Punkte in seiner „Kundenansprache“ und sie treffen offenbar auf Resonanz. Die von ihm aufgerufenen Themen und das in der Werbung für seine Unternehmungen erzeugte Lebensgefühl ergeben eine ganz eigentümliche Mischung.
Steuervermeidung
Einerseits geht es ganz klar um Steuervermeidung. Man möchte keine Abgaben für den Staat bezahlen, keine Gewerbesteuern entrichten und überhaupt sich dem gesamten Zugriff der staatlichen Verwaltung entziehen. Dahinter ist ein starkes egoistisches Motiv spürbar: Die wollen mir was von „meinem Geld“ wegnehmen, das finde ich nicht gerechtfertigt, da suche ich nach Auswegen. In der Werbung für Peter Fitzeks Seminar zum „Systemausstieg“ sind die Steuerfragen prominent. Dass der Staat für alle seine Ausgaben – von Schulen bis zum Straßenbau – auf dieses Geld angewiesen ist und dies der Gemeinschaft dienen soll, wird nicht entsprechend thematisiert.
Gemeinwohl
Zugleich wirbt das ganze Projekt stark mit dem Begriff „Gemeinwohl“ und spricht damit durchaus eine soziale Ader an. Die Menschen sind auch tatsächlich bereit, für die von ihm aufgerufene Vision von Gemeinschaft viel zu investieren. Manche in Form von Zeit und Arbeitskraft bei den diversen Arbeitseinsätzen im „Königreich“, andere auch in erheblichem Maß in Geldeinzahlungen auf Konten der „Reichsbank“ bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen wie gegenwärtig der „Gemeinwohlkasse“ (GWK). Dass dies faktisch Schenkungen an Peter Fitzek sind, versucht die Werbung dafür mühevoll zu verschleiern. Manchen ist es möglicherweise dennoch bewusst. Es würde einigen Menschen also unrecht tun, wenn man sie nur als Egoisten bezeichnen würde, denen das Gemeinwohl nichts bedeutet.
Globalisierung
Was also ist es, das Menschen dazu treibt, zur Vermeidung eines Gebührenbescheides von 18,36 € zum „Reichsbürger“ zu werden, aber zugleich 400.000 Euro aus dem Ersparten für den Erwerb von Fitzeks Schlössern beizusteuern?
Eine mögliche Antwort könnte in der wachsenden Unübersichtlichkeit der modernen Welt liegen. Steuern waren schon immer unbeliebt. Aber wenn man kein Gefühl mehr dafür hat, wohin sie gehen und wenn das Gebilde, das sie erhalten, so komplex ist, dass die Identifizierung damit schwerfällt, ist das Problem offenbar schwerwiegender. Das Aufgehen der deutschen Kleinstaaten in einem übergeordneten Staatsgebilde und die Föderation der Länder in der Bundesrepublik Deutschland ist im Blick auf Wirtschaft, Wohlstand, Freizügigkeit u.v.a.m. ebenso absolut sinnvoll wie die Bemühungen um mehr Gemeinsamkeiten innerhalb der Europäischen Union. So nützlich und positiv diese Prozesse sind, haben sie doch die Begleiterscheinung, dass die Gebilde immer größer werden. Für das Individuum wird die Aufgabe, sich damit zu identifizieren, die damit verbundenen Entscheidungsstrukturen zu verstehen und zu akzeptieren allerdings nicht leichter. Die Sache wird dadurch erschwert, dass internationale Firmenverflechtungen den Spielraum der Politik spürbar einengen und immer wieder Gewinne privatisiert, aber Verluste auf die Gemeinschaft umgelegt werden (z. B. in der Bankenrettung). Was man nicht versteht, will man auch nicht finanzieren. Genauer: Wenn man meint, verstanden zu haben, wie das System läuft, nämlich als Selbstbedienungsladen für korrupte Eliten, dann ist Sympathie und Beteiligung und gemeinsames Tragen der Lasten kein Thema mehr. Dann gilt nur noch: Ich mach da nicht mehr mit. Die Vorwürfe sind leider nicht immer völlig unbegründet. Gegenwärtig sind auch Teile der Regierung dabei, in offensichtlicher Abhängigkeit von einer starken Lobby, die an fossilen Energien hängt, unser aller Zukunft aufs Spiel zu setzen. Anders sind bestimmte Entscheidungen kaum zu erklären.
Gegentrend: Überschaubare Gemeinschaft
Nun hat es schon immer auch Gegentrends dazu gegeben. Wo die große Welt zu unübersichtlich ist, schaffe ich mir mit Gleichgesinnten eine kleine. In gewissem Maß ist das normal und vollkommen in Ordnung. Jeder Freundeskreis, jede Kirchgemeinde, jeder Feuerwehrverein funktioniert so. Ein Thema, ein Glaube, ein Engagement verbindet Menschen zu Gruppen, die sich kennen und deshalb auch füreinander einstehen und sich helfen, wo es nötig wird.
Schon immer hat es davon auch radikalere Formen gegeben, die versucht haben, sich weiter als andere aus dem „normalen“ weltlichen Leben herauszuziehen und zu verbindlichen Lebensgemeinschaften zusammenzuschließen. Das geschah in christlichen Mönchsorden, in indischen Ashrams (Osho, Auroville), in esoterischen Communities (Findhorn, Damanhur), in politischen Kommunen und Siedlungsprojekten (Kibbuz-Bewegung, Ökodörfer) etc.1 Diesen Rahmen gilt es zu bedenken, wenn man auf neuere Utopien eines gemeinsamen Lebens schaut, die gegenwärtig Aufmerksamkeit gewinnen.
Privatstädte
Der Journalist Andreas Kemper weist schon seit Jahren auf die Probleme sogenannter „Privatstädte“ hin.2 Dabei handelt es sich im Kern auch um die Kombination von Wohnprojekt und Steuersparmodell. Konkret ist ein solches Projekt z.B. auf einer Insel vor Honduras am Entstehen. Ein Investorenkonsortium kauft Land von der Regierung und schafft es, dieses als „Sonderwirtschaftszone“ zu deklarieren. Das bedeutet schlicht, dass dort die normalen Gesetze des Landes nicht gelten sollen. Stattdessen werden die Regierungsaufgaben von einem gewinnorientierten privaten Unternehmen als Dienstleistung für die Bewohner/Kunden erbracht. Die Bewohner schließen einen Vertrag mit dem „Staatsanbieter“ und kaufen von ihm Ruhe und Sicherheit, Müllabfuhr und medizinische Versorgung. Jeder Bürger erhält seine Rechtsposition durch einen solchen individuellen Bürgervertrag. „Selbstbestimmung statt Mitbestimmung“ wird propagiert. Damit entfalle die Daseinsberechtigung von Parlamenten. Demokratie erscheint dem bedeutendsten Protagonisten und Vordenker der gegenwärtigen Privatstadtbewegung, Titus Gebel, lästig und überflüssig. In den Ausführungen der „Free Cities Foundation“ sind die Gesetze des Marktes und persönliches Gewinnstreben die einzigen Triebfedern für menschliches Handeln und gesellschaftliche Entwicklung. Fürsorge, sozialen Ausgleich, das Kümmern um Menschen, die möglicherweise aus gesundheitlichen oder andern Gründen aus dem Tritt geraten, scheint in dem Konzept nicht vorgesehen. Diese Städte haben so gesehen auch keine Einwohner, sondern nur Kunden. Wer nicht zahlungsfähig ist, kann auch kein Kunde sein.
Doppelte Staatsvermeidung
Die Staatsdistanz gilt bei den Privatstädten auf 2 Ebenen: Zum einen wollen die Betreiber mit öffentlichen Dienstleistungen private Gewinne erwirtschaften. Geld, das in einem „normalen“ Staat in Form von Steuern der Allgemeinheit gehört und ihr vollständig in Form von Investitionen wieder zukommen sollte, wird hier in Form von „Gebühren“ zum Privatbesitz der Betreiber und nur zu einem Teil reinvestiert. Die ansonsten illegitime und verfolgte Korruption wird quasi zum Gesetz und Normalzustand erhoben – aber exklusiv für die Betreiber.
Zum anderen gilt für die Bewohner, dass sie von niedrigen Gebühren (statt Steuern) und Vermeidung staatlicher Regularien profitieren wollen, um dort ungestört eigenen Geschäften nachgehen zu können. In beiden Fällen ist das Ziel, die Begrenzungen zu umgehen, die ein moderner Sozialstaat dem kapitalistischen Wirtschaften auferlegt, um Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden und um soziale Aufgaben zu finanzieren, die keine unmittelbaren Gewinne abwerfen (Arbeitslosenunterstützung, Obdachlosenfürsorge etc.).
Demokratiedefizit
Im Grunde ist die Idee der Privatstädte eine konsequente Fortführung einer Mischung aus „Gated Communities“ (den umzäunten Wohnstätten der „Reichen“ in ärmeren Ländern) und Cluburlaub. Ein kommerzielles Rundum-sorglos-all-inclusive-Paket für zahlungskräftige Kundschaft unter Ausschluss aller sozialen Probleme. Individuen, die sich gegen die Regeln der Betreiber stellen, können kurzerhand ausgeschlossen werden. Demokratische Mitbestimmung, Mitwirkung bei Richtungsentscheidungen für die Gemeinschaft ist weder vorgesehen noch möglich. Einziges Steuerungsinstrument wäre der Auszug. Man wechselt aber nicht einfach so seine Stadt, seinen Lebensmittelpunkt einschließlich aller sozialer Kontakte, weil man mit einem Detail nicht einverstanden ist. Wie gering die Verhandlungsmacht eines einzelnen Mitgliedes ist, weiß jeder, der mal aktualisierte Lizenzbedingungen eines dringend benötigten Softwareprodukts abgeklickt hat. Das verschafft den Betreibern verlässlich sprudelnde Einnahmen ohne die politischen Risiken der Abwahl oder wechselnder gesellschaftlicher Stimmungen, mit denen „normale“ Gesellschaften immer umgehen müssen.
Bürgergenossenschaft Mittelsachsen
Unter dem Einfluss von Titus Gebel, dem bereits erwähnten Protagonisten der Privatstadtinitiative, hat sich in Döbeln eine „Bürgergenossenschaft Mittelsachsen“ (BüG) zusammengefunden. Sie erscheint einem außenstehenden Beobachter als fein dosierte Mischung aus 1. politisch rechtsnationalen Einstellungen der „Freien Sachsen“,3 2. Autonomiestreben und Staatsablehnung wie Peter Fitzeks „Königreich Deutschland“, umgesetzt mit 3. Ideen aus der Privatstadtinitiative, 4. verbunden mit Homogenitätsvorstellungen völkischer Siedler und 5. dem in der Prepper-Szene gepflegten Anliegen der Autarkie zur Vorbereitung auf „verschiedenste Krisenszenarien“. Im Unterschied zu den „Freien Sachsen“ soll nicht Politik und Gesellschaft beeinflusst werden, sondern es geschieht ein Rückzug in den (genossenschaftlich erweiterten) überschaubaren Privatraum. „Es ist leichter, eine kritische Masse von Gleichgesinnten um sich zu scharen, als landesweite Wahlen zu gewinnen“ heißt es auf der Webseite der BüG. Ziel ist es, wie im „Königreich Deutschland“ zu möglichst vielen Bereichen staatlichen Handelns eigene Parallelstrukturen aufzubauen. Ebenso wie dort kommt der Staat ausschließlich negativ in den Blick als „systembedingt autoritär, ineffizient und träge“. Die „freiwillige Selbstorganisation entschlossener Bürger“ diene der „Vermeidung staatlicher Willkür“ und resultiere aus verlorenem „Vertrauen in staatliches Handeln“. Zur Rekrutierung neuer Mitglieder heißt es: „Unzufriedenheit und Misstrauen gegenüber allem Etablierten sprießen aus dem Boden wie Unkraut; welch ein Glück für uns alle!“.4 Im Unterschied zum „Königreich“ wiederum wird dies nicht mit Ideen der Reichsbürger verbunden, sondern versucht, innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens in Form einer Genossenschaft umzusetzen und damit unter dem Radar öffentlicher Kritik zu bleiben. Inhaltlich geht es darum eine „Wirtschafts- und Wertegemeinschaft“ zu schaffen, die eine „Alternative zu vorhandenen Institutionen“ organisiert. Genannt werden u.a. Immobilienerwerb für gemeinsames Wohnen, Errichtung einer freien Schule, Energieautarkie, Gemeinschaftszentren, Kneipe, Einkaufsgemeinschaft, eigene Schiedsgerichte. Damit verbundene Werte sind „Vertragsfreiheit, Privateigentum und Marktwirtschaft“ sowie „Erhalt der gemeinsamen Kultur und Sprache“. Die Mitglieder fühlen sich nicht unsozial – im Gegenteil. Hilfsbereitschaft und das Interesse am Wohlergehen der Mitmenschen werden auch artikuliert, allerdings eben bezogen auf den Nahraum der Genossenschaft. Diese stellt selbst eine sehr aktive Sozialauswahl mit großer innerer Homogenität dar. Wer sich da nicht einpasst, kommt gar nicht erst hinein oder wird wieder rausgeworfen. So könne die BüG „per Satzung vorsehen, dass sich ihre Mitglieder dazu verpflichten, die aufgestellten Regeln einzuhalten, für interne Konflikte nur die vorgesehenen Streitschlichtungssysteme zu nutzen und deren Entscheidung zu akzeptieren. [Wiederholte] Zuwiderhandlungen ziehen eine Kündigung der Mitgliedschaft nach sich.“5
Was tun?
Die Beispiele zeigen, dass die Demokratie vielerorts ein Akzeptanzproblem hat. Viele Menschen verstehen nicht ausreichend, wie sie funktioniert, welche Möglichkeiten der Mitgestaltung sie tatsächlich haben und haben sich innerlich aus ihr verabschiedet. Sie wollen durchaus gern aktiv am Gemeinwohl mitarbeiten und dafür ihre Ressourcen investieren, aber eben nur im für sie überschaubaren Nahbereich, über den sie selbst auch ein gewisses Maß an Kontrolle ausüben können. Jede Form zivilgesellschaftlichen Engagements innerhalb der demokratischen Strukturen ist nützlich, solche Selbstisolation zu durchbrechen und Menschen die positive Erfahrung zu vermitteln, dass sie durchaus etwas zum Guten bewegen können.
Harald Lamprecht
1 Vgl. dazu: https://www.confessio.de/artikel/201
2 U.a. in seinem Buch „Privatstädte - Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus “, Unrast-Verlag 2022, vgl. auch: www.fr.de/politik/private-staedte-exklusiv-und-antidemokratisch-91274549.html.
3 Gegenüber dem NDR wurde versucht, diese Beziehung herunterzuspielen, vgl. www.tagesschau.de/investigativ/privatstaedte-100.html.
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